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Im Netz der Lügen

Folge: 795 | 27. März 2011 | Sender: SWR | Regie: Patrick Winczewski

Bild: SWR/Stephanie Schweigert

So war der Tatort:

Gesichtsanalytisch.

Der SWR stellt seinen Konstanzer Hauptkommissaren Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) bei ihrem 16. gemeinsamen Fall Im Netz der Lügen nämlich einen berühmten Analytiker zur Seite: Prof. Richard Lorenz (Marek Erhardt), der den Großteil seiner Tatort-Zeit damit verbringt, den Kommissaren zu erklären, wie man die Emotionen eines Menschen anhand seiner Mimik ablesen kann. Klingt irgendwie ziemlich simpel, oder?

Ist es auch: Die Richterin Heike Göttler (Karin Giegerich, Tod auf dem Rhein) wird beim Joggen von einem Vergewaltiger überfallen und erschlägt ihn in vermeintlicher Notwehr – doch kurze Zeit später kann sie souverän und scheinbar völlig gleichgültig den Tathergang schildern. 


Es ist eigentlich unschwer zu übersehen, dass die für ihre harten Urteile gegen Sexualstraftäter bekannte Juristin etwas zu verbergen hat, doch sicherheitshalber wenden sich Blum und Perlmann an Lorenz: Der Psychologe erklärt den Ermittlern beim Abspielen der Video-Aufzeichnung auf einer großen Leinwand in einem dunklen Saal (s. Bild), was Göttler während des Verhörs wirklich denkt. Dazu zoomt der Analytiker auf das Gesicht der Verdächtigen und macht in dem großkörnigen, flackernden Video eine asymmetrische Stellung der Mundwinkel oder ein Blähen der Nasenflügel aus. Wow! 


Während hier winzige Details für große Augen sorgen, übersehen Blum, Perlmann und ein halbes Dutzend Streifenbeamter später einen Fotografen, der keine zehn Meter von ihnen entfernt unbehelligt die Arbeit der Polizei fotografiert. 


Einmal mehr bewahrheitet sich auch die alte Tatort-Regel, dass neue Charaktere,
die den Ermittlern nahe stehen, in der Regel Dreck am Stecken haben: Im 795. Tatort bandelt Naivitätsbombe Annika „Beckchen“ Beck (Justine Hauer) mit dem Journalisten Marco (Patrick von Blume, Vergissmeinnicht) an, dessen mäßige Flirt-Begeisterung der Professor natürlich ebenfalls schonungslos aufdeckt. Das stellt selbst Blums begnadete Beobachtungsgabe in den Schatten.


PERLMANN:
Er hat insgesamt dreimal auf die Uhr geschaut und dabei gelächelt.

BLUM:
Der wartet auf etwas!

Die Themen Rechtmäßigkeit von Notwehr und Bestrafung von Sexualstraftätern sind der rote Faden des Krimis, werden jedoch vor allem gegen Ende, als der von Göttler verurteilte Ernst Heck (Matthias Freihof, Teufelskreis) ins Visier der Ermittler gerät, immer unpräziser und undifferenzierter dargestellt. 

Das ist schade, denn die Grundstruktur des Films ist durchaus originell: Die von Regisseur Patrick Winczewski (Winternebel) inszenierte Geschichte hinter der versuchten Vergewaltigung ist raffiniert arrangiert und alles andere als vorhersehbar.

Spannung kommt im 795. Tatort trotzdem nur selten auf: Eva Mattes und Karin Giegerich sprechen selbst in den emotionalsten Szenen derart stoisch und abgeklärt, dass man sich in der zweiten Krimihälfte fast Professor Lorenz (der mitten im Film einfach von der Bildfläche verschwindet) und seine Mundwinkel-Analyse zurückwünscht.

Verübeln kann man es den Schauspielern allerdings kaum: Drehbuchautorin Dorothee Schön (Herz aus Eis) legt ihnen – ähnlich wie den Kollegen aus Ludwigshafen im Katastrophenkrimi Der Wald steht schwarz und schweiget – seltsame Dialoge in den Mund (Heck: Mein Passwort ist GrafvonMonteChristo.“ –  Blum: „Ach, so belesen!“) und greift immer wieder tief in die Klischee-Kiste. Die unerbittliche Richterin wohnt natürlich allein in einem steril eingerichteten, komplett weißen Haus,
das bis auf einige Medikamentenschachteln völlig leer scheint.

Warum Schön eine Szene einbringt, in der Göttler den Sohn des Vergewaltigers zu Boden wirft und schlägt, bleibt indes rätselhaft: Blum steht daneben und greift gar nicht erst ein – vielleicht, weil sie schon ahnt, dass der Vorfall ohnehin nicht mehr angesprochen wird und der Sohn danach nicht mehr auftaucht. Angesichts solcher grober Unstimmigkeiten gerät es fast zur Randnotiz, dass beim Showdown am Bodensee-Ufer fleißig Kajak gefahren wird, obwohl die Ermittler konsequent von „rudern“ sprechen.

Schade: Im Netz der Lügen hätte dank der heiklen Thematik zum Nachdenken anregen können, stimmt aber oft nur ärgerlich. Vor allem in den Schlussminuten des Krimis wird die Chance vertan, eindeutiger Position zu beziehen.

Bewertung: 4/10

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