Folge: 742 | 4. Oktober 2009 | Sender: WDR | Regie: Buddy Giovinazzo
Bild: WDR/Willi Weber |
So war der Tatort:
Heimatlos.
Normalerweise haben es die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ja sehr bequem bei ihren Ermittlungen: Ihre treue Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) bestellt die Verdächtigen ins Präsidium und die Verhöre finden in gemütlicher Runde im Büro statt.
Nicht aber im Tatort Platt gemacht: Der obdachlose Andi Lechner bricht vor den Augen der Ermittler auf einer Bank tot zusammen – und Ballauf und Schenk bleibt nichts anderes übrig, als den ganzen Tag durch die herbstliche Domstadt zu wandern und sich in den Kreisen des Opfers umzuhören.
Ballauf geht sogar noch einen Schritt weiter: Er kleidet sich selbst wie ein Obdachloser und mischt sich unters entsprechende Volk – ein netter Drehbuchkniff, der leider völlig verpufft, weil der halbherzig verkleidete Kommissar schon in der ersten Nacht auffliegt und keinerlei neue Erkenntnisse durch die Undercover-Aktion gewinnt.
Bei ihrer Suche nach Hinweisen begegnen Ballauf und Schenk eigentlich nur zwei Sorten von Menschen: Auf der einen Seite die Anwohner, die sich belästigt fühlen und zum Teil sogar mit Gewalt gegen die Stadtstreicher wehren, und auf der anderen Seite die Obdachlosen, die aus unterschiedlichsten Gründen auf der Straße gelandet sind und eigentlich keiner Fliege etwas zu leide tun.
Einzige interessante Figur des Krimis ist der geheimnisvolle „Beethoven“ (Udo Kier, Das Mädchen mit der Puppe), der ebenfalls auf der Straße lebt und den Ermittlern die Mechanismen des Milieus erklärt. Dabei werden Ballauf und Schenk natürlich früher oder später mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert.
BALLAUF:
Paar Euro sind auch drin.
BEETHOVEN:Ich seh‘ zwar so aus, aber ich hab‘ noch nie geschnorrt.
BALLAUF:
Tschuldigung, ich wollte Sie damit nicht beleidigen.
Beleidigend für Obdachlose wirkt der Krimi tatsächlich nicht – vielmehr scheinen die vielfach tatorterprobten Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter (Hinkebein) bemüht darum, mit Vorurteilen aufzuräumen.
Sie stellen die Obdachlosen nicht als asoziale Schmarotzer dar, sondern als gut organisierte Randgruppe von Menschen, die von ganz verschiedenen Schicksalsschlägen aus der Bahn geworfen wurden. Da darf die für den Kölner Tatort typische Sozialkritik nicht fehlen: Als der alkoholkranke „Django“ (David Scheller, Fette Krieger) ins Krankenhaus eingewiesen wird, verbannt man ihn prompt in einen fensterlosen Abstellraum.
Auch die humorvollen Momente sind typisch für die Folgen aus der Domstadt, wenngleich bei Freddys wiedergefundener Cowboy-Jacke in der Altkleider-Sammlung oder der spontanen Gesangseinlage zweier Obdachloser zu dick aufgetragen wird.
Eine überzeugendere Auflösung hätte dem 742. Tatort ebenfalls gut zu Gesicht gestanden: Nach eher schleppender Ermittlungsarbeit reift bei den Kommissaren am Ende plötzlich eine Erkenntnis nach der anderen, während andere Aspekte des Falles gar nicht aufgeklärt werden.
Florian Bartholomäi spielt mit dem unsympathischen Sascha Döhn einmal mehr einen überheblichen jungen Mann (vgl. Auf ewig Dein oder Herz aus Eis), der seine Rechte kennt, doch letztlich wirkt er in seiner eindimensionalen Rolle verschenkt. Auch der Konflikt zwischen den Obdachlosen und der aufgebrachten unteren Mittelschicht böte Platz für eine kritische Aufarbeitung, stattdessen aber wird das eigentliche Kernthema immer stärker vernachlässigt.
In den Schlussminuten macht Regisseur Buddy Giovinazzo (Rendezvous mit dem Tod) aus Platt gemacht dann sogar noch einen schmalzigen Kitsch-Krimi: Die klare Trennung der sozialen Schichten, die er in den vorherigen 80 Minuten so überdeutlich aufbaut, will er dann plötzlich mit nur einem Wisch wieder aufheben. Alle feiern zusammen bei einem Höhner-Konzert und erleben entweder ihr persönliches Happy End, sorgen für einen letzten Lacher oder genießen einen stillen Moment des Glücks.
Auch hier wäre weniger mehr gewesen.
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