Folge: 727 | 22. März 2009 | Sender: WDR | Regie: Tim Trageser
Bild: WDR/Michael Böhme |
So war der Tatort:
Kilometerfressend.
Höllenfahrt ist – der Folgentitel deutet es bereits an – mehr Roadmovie als Sonntagskrimi, und da es sich um einen Tatort aus Münster handelt, natürlich keiner der wirklich spannenden, dafür aber umso spaßigeren Art.
Schon der Auftakt macht deutlich, dass Szenen im Präsidium oder in der Leichenhalle diesmal nicht vorgesehen sind: Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) befindet sich gerade auf einer Fortbildung und ruiniert sich sein nagelneues Oberhemd mit Kunstblut, während Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) mit fiesen Tricks sein Handicap bei einem Golfturnier aufmöbelt.
Nach einem missglückten Abschlag ins Unterholz steht er plötzlich vor einer Leiche, zitiert nach kurzem Zaudern den Kollegen Thiel herbei und sorgt sich in der Folge hauptsächlich darum, das Golfturnier könne wegen des Mordfalls abgebrochen und er seines bevorstehenden Turniersiegs beraubt werden.
Die Drehbuchautoren Claudia Falk und Matthias Seelig, die nach dem durchwachsenen Das zweite Gesicht zum zweiten Mal mit Regisseur Tim Trageser (Der Traum von der Au) zusammenarbeiten, bringen das eingespielte Duo gewohnt humorvoll zur Geltung und schicken die beiden in der Folge auf eine köstliche, fast in Echtzeit spielende Odyssee durch das sommerliche Münsterland, bei der Boerne seltsame Motorengeräusche bei seinem flotten Zweisitzer ausmacht, eine verbissene Fehde mit einer Radfahrertruppe ausfechtet und Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) den beiden Ermittlern in einem roten Fiat 500 hinterherhechelt.
Am Ende nimmt das Trio natürlich noch gemeinsam in der „Flohkiste“ (Boerne) Platz – ein Gag, wie er vorhersehbarer kaum ausfallen könnte, zugleich aber einer der wenigen, bei denen der erhoffte Lacher ausbleibt.
Höllenfahrt sprüht vor Situationskomik und absurden Einfällen, verkommt dabei aber nicht zur Klamotte. Boernes plötzliche Off-Road-Einlage durchs Maisfeld, die allgegenwärtige Blasiertheit im edlen Golfclub oder Thiels Crash-Kurs in Sachen Sezierbesteck: Der 727. Tatort liefert gelungene Pointen und amüsanten Dialogwitz am Fließband, verliert die Jagd nach dem Täter aber trotz aller Kuriositäten nie aus den Augen.
Und ist auch aufgrund des packenden Schlussakkords immer noch deutlich mehr Krimi als der spätere, landschaftlich ähnlich gelagerte Das Wunder von Wolbeck, bei dem der Spagat zwischen Albernheiten und Kriminalfall erstmalig richtig in die Hose ging.
Mit Nina Kunzendorf (Der Tote im Nachtzug), die als gejagte Alexandra Kolb im Gegensatz zu ihrer späteren Rolle als Frankfurter Tussi-Kommissarin Conny Mey mit Kopftuch und schlichten grauen (allerdings auch ziemlich transparenten) Oberteilen zu sehen ist, zählt zudem eine großartige TV-Darstellerin zum Cast, die schauspielerisch die eine oder andere Duftmarke setzt und auf der Zielgeraden zu Hochform aufläuft. Doch hoppla: Das prominenteste Gesicht ist in diesem Tatort mal nicht der Mörder.
Überraschend ist die Auflösung der Täterfrage dennoch nicht – da sie aber ohnehin zweitrangig ist, fällt dies kaum ins Gewicht. Wüsste der Zuschauer von Beginn an um den Täter, würde sich eigentlich wenig ändern, denn Thiel und Boernes Wettlauf gegen die Zeit ließe sich auch ohne klassische Whodunit-Frage konstruieren.
So ist Höllenfahrt eine weitere, extrem kurzweilige Ausgabe des Kuriositätenkabinetts aus Münster und zugleich eine der stärksten Folgen aus der Studentenstadt, von der diesmal wenig zu sehen ist. Und – ganz nebenbei – ist der 727. Tatort auch die Lieblingsfolge von Christine Urspruch.
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