Folge: 715 | 21. Dezember 2008 | Sender: ORF | Regie: Fabian Eder
Bild: ORF/Satel-Film/Andreas Fischer |
So war der Tatort:
Verschneit.
Traktoren fahren über vereiste Straßen mit Milchkannen auf der Ladefläche durch die Berge, es wird nicht viel geredet. „Brutaler Mord im Wipptal“, titelt die einheimische Boulevardzeitung. Ähnlich wie in den anderen Tirol-Folgen des ORF spielen die Filmemacher in Granit mit dem Klischee der österreichischen Idylle.
Glücklicherweise ist der Dorfpolizist bei der Suche nach dem Mörder von Steinmetz Helmut Pechtl (Ludwig Dornauer, Tödliche Souvenirs) nicht auf sich allein gestellt: Inspektor Franz Pfurtscheller (Alexander Mitterer) wird bei seinem siebten Tatort-Einsatz erneut vom Wiener Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) unterstützt.
Der plante eben noch die Feiertage mit seiner Tochter Claudia (Sarah Tkotsch), da landet er schon mit dem Flugzeug in Tirol – und wen trifft er am Gepäckband? Talkshow-Moderatorin Agnes Aichinger (mit elegantem Bob: Muriel Baumeister, Weihnachtsgeld), die die nächste Sendung ihrer erfolgreichen Show „Akut Agnes“ vorbereiten möchte.
Es ist nicht das erste Mal, dass sie vor Ort mit verstrickten Familientraditionen in Berührung kommt: Schon einmal wurde das Wipptal von einem Skandal erschüttert, schon einmal wandte sich ein Mitglied der Familie Gufler an Aichinger. Daraufhin wechselte der Familienhof seinen Eigentümer, von einem Bruder zum nächsten. Zögerlich hält die Moderne Einzug in die Dorfgemeinschaft: Welten prallen aufeinander.
Der eine Bruder, Erich Gufler (Simon Schwarz, Einmal wirklich sterben), lebt ordentlich mit seiner Frau Frieda (Maria Hofstätter) und drei Kindern auf dem Hof. Der zweite, Heinz Gufler (Andreas Lust, Mia san jetz da wo’s weh tut), hat einen Sohn, ist aber mit dessen Mutter nicht verheiratet. Und der dritte, Walter Gufler (Cornelius Obonya), ist nicht nur Lehrer, sondern auch kinderlos und schwul – noch ein Skandal.
Bleibt noch der Hof: Seit 300 Jahren in Familienbesitz, Streitigkeiten werden hier seit jeher ausgetragen, indem die Milch über den alten Holztisch gescheppert wird, Worte brauchen die Bewohner dafür nicht. Der Hof muss in der Familie bleiben. So fortschrittlich die Österreicher sind: Sie wissen, was zählt.
PFURTSCHELLER:
Es hat geschneit, Moritz.
EISNER:Und? Was habt’s ihr gefunden?
PFURTSCHELLER:
Ja, nichts.
Auch wenn die wichtigste Nebenfigur als Talkshow-Moderatorin ihre Brötchen verdient, lässt Drehbuchautor Felix Mitterer (Der Teufel vom Berg), der auch alle anderen Tirol-Folgen konzipiert hat, seine Figuren nur wenig Worte wechseln. Eindrucksvollste Szene ist ein Verhör, in dem alle Antworten mit nur einer Silbe auskommen.
Spannung entsteht unter Regie von Fabian Eder (inszeniert später den Wiener Meilenstein Kein Entkommen) vor allem durch die Kontraste: Die Menschen vom Land sind von Gestern, ihre Ideale völlig überholt. Hier verbinden sich Selbstgerechtigkeit und Engstirnigkeit.
Aber die aus der Stadt sind auch nicht besser: fesch geschminkt, aber verlogen. Die Idylle verbirgt die menschlichen Abgründe. Da prallt aufeinander, was zusammengehört, im Staat Österreich – Land der Berge, Land am Strome.
Immer wieder wird Agnes angerufen, auf ihrem Großstädter-Handy (die anderen haben keins, der Tatort ist von 2008), aber nie sagt sie die Wahrheit – noch nicht einmal zu Eisner („Ich war nicht ganz ehrlich zu dir, aber das ist ein Teil meines Jobs.“) Die beiden tauschen an der Hotelbar schmachtende Blicke und ihre Vorstellungen von einem glücklichen Familienleben aus. Es ist ja auch Weihnachten.
Polizei und Tränendrüsen-Boulevard ermitteln um die Wette, beide auf der Suche nach der Wahrheit, Eisner für die Gerechtigkeit, Agnes und ihr Kamerateam aus völlig falschen Gründen. Sie bewegt sich damit auf dünnem Eis – irgendwann auch im wörtlichen Sinn. „G’schneit hat’s. Und still war’s. All’s weiß“, erzählt der Mörder am Ende von seiner Tat.
Richtig ist das, g’schneit hat’s, still war’s, Weihnachten hat’s auch gehabt, und am Ende muss im 715. Tatort noch ein Akt der Selbstjustiz verhindert werden: So ist das, wenn der Mörder gefunden ist, aber noch sieben Minuten Krimidrama übrig sind.
Ein besonderes Schmankerl für Liebhaber der Tatort-Folgen aus Wien ist Granit aus zweierlei Gründen: Neben Simon Schwarz, der im Wiener Tatort ab 2011 den Inkasso-Heinzi mimt, ist auch Adele Neuhauser, die ab Vergeltung Major Bibi Fellner spielt, als ehemalige Profitänzerin und Witwe des Opfers zu sehen.
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