Folge: 621 | 22. Januar 2006 | Sender: NDR | Regie: Thomas Jauch
So war der Tatort:
Trostlos – und das vor allem für Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) selbst.
Vom tragischen Verlust ihres Lebensgefährten Tobias Endres (Hannes Jaenicke) im Finale des starken Vorgängers Atemnot noch immer schwer angeschlagen, stolpert die LKA-Kommissarin entgegen jeder Vernunft unter Medikamenteneinfluss durch die Ermittlungen und bewegt sich während der Befragungen einmal mehr am Rande der Legalität, ohrfeigt im Streit sogar ihren Kollegen Markus Dunker (Tilo Nest, Tote Männer).
Schwarzes Herz folgt dem bekannten Muster der niedersächsischen Tatort-Folgen: Schauplatz ist ein Provinznest, in dem jeder jeden kennt, diesmal im Landkreis Stade, wo man Lindholm mit dem selbstbewussten Dunker einen mäßig sympathischen Dorfpolizisten zur Seite stellt. Der kann zwar nicht mit der smarten Kommissarin aus der Großstadt mithalten, bietet ihr aber trotzdem ordentlich Paroli.
Gegenstand der gemeinsamen Ermittlung ist das Verschwinden von Simone Schatz, bei dem alles auf einen Mord hindeutet. Auch ein Tatverdächtiger ist für Lindholm schnell gefunden: ihr Ehemann Holger Schatz (Peter Kurth, von 2011 bis 2015 als Kommissar Seidel im Tatort aus Frankfurt zu sehen), ein Landwirt mit großem Schweinestall. In dessen Auto finden sich nicht nur Blutspuren seiner Frau – auch eine mögliche Tatwaffe ist aus seinem Waffenschrank verschwunden.
Lindholm nimmt den aufbrausenden Bauern in Untersuchungshaft, befragt seinen besten Freund Benno Rhode (Werner Wölbern, übernimmt 2018 die Rolle als Staatsanwalt Bachmann im Tatort aus Frankfurt) und dessen Frau Eva (Sandra Nedeleff, Du gehörst mir) als Zeugen. Auch Tierarzt Kehl (Thorsten Merten, ab 2013 als Kripochef Kurt Stich im Tatort aus Weimar zu sehen) gerät ins Visier der Ermittlerin. Als eine weitere Leiche gefunden wird, müssen Lindholm und Dunker sich fragen, ob sie es hier mit einem Serienmörder zu tun haben.
Den 621. Tatort inszeniert – wie auch schon Atemnot oder den Lindholm-Erstling Lastrumer Mischung – erneut Thomas Jauch (Tanzmariechen). Und es gibt weitere Parallelen: Gerade im Hinblick auf das Privatleben der LKA-Ermittlerin sind die beiden Folgen inhaltlich lose miteinander verknüpft, Kamera und Schnitt sind ruhig, die Musik dick aufgetragen.
Gleiches gilt für die Dialoge: Tatort-Debütant Fabian Thaesler liefert das Drehbuch für einen Krimi mit klassischer Whodunit-Erzählstruktur, dessen mit Abstand größte Schwäche in der oft unnatürlich wirkenden und deshalb holprigen Gesprächsführung liegt.
In Bezug auf Lindholm und ihre psychische Verfassung machen die Filmemacher in diesem Tatort aber vieles richtig. Ins-Nichts-Starren und Momente, in denen die Kommissarin gedanklich völlig abwesend zu sein scheint, die leeren Tablettenschachteln, die sie vor den Augen des Kollegen im Handschuhfach zu verstecken versucht: Es sind die kleinen Details, die verraten, wie schlecht es wirklich um die Kommissarin steht.
Schauspielerisch punkten neben Maria Furtwänglers Darstellung der strauchelnden Lindholm vor allem Peter Kurth und Werner Wölbern. Mit Schatz und Rhode spielen beide Figuren, bei denen nie wirklich klar ist, woran man bei ihnen ist: unwissend und bemüht hilfsbereit in einem Moment, merkwürdig nervös und hochverdächtig im nächsten.
Wären da nur nicht die stets aufgesetzt wirkenden Szenen zwischen Lindholms überbesorgtem Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) und ihrer vergleichsweise entspannten Mutter Annemarie (Kathrin Ackermann), die gemeinsam den Geburtstag der Kommissarin vorbereiten: Sie tragen wenig bis nichts zur Geschichte bei und sind eines der besten Beispiele für die poetisch angehauchten, hölzernen Dialoge.
ANNEMARIE LINDHOLM:Trauern heißt über dünnes Eis gehen. Man verlässt das Ufer, bricht ein, versinkt – wird auch ein bisschen selber sterben. Man muss bereit sein, loszulassen, um an der anderen Seite anzukommen.MARTIN FELSER:
Aber wer soll ihr denn helfen, wenn sie da draußen nicht mehr weiter weiß?
Ab dem Moment, in dem die Auflösung des Falls klar ist, steuert der Krimi eigentlich geradewegs auf ein dramatisches Finale zu – bis in der entscheidenden Einstellung einfach weggeschnitten wird. Als Zuschauerin fühlt man sich um eine Erklärung betrogen. Stattdessen folgt zum Abschluss wieder eine kitschige Szene mit Lindholms Mitbewohner und Mutter, ein bisschen heile Welt zum Abschluss. Irgendwie völlig fehl am Platz.
Grundsätzlich wäre in Schwarzes Herz weniger mehr gewesen – einzig das schwächelnde Finale bildet hier die Ausnahme. Trotzdem ist der achte Fall für Charlotte Lindholm, in dem die sonst so beherrschte Hauptkommissarin sichtlich mit sich zu kämpfen hat, insgesamt ein gelungener Krimi, bei dem man als Zuschauerin lange rätseln kann, wer wohl für die beiden Morde verantwortlich ist.
Bewertung: 6/10
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