Dass beim Tatort mit Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) laut gelacht werden darf, ist zwar seit dem überragenden Erstling Der dunkle Fleck gute Tradition – doch ein solch üppiges und zugleich gelungenes Satire-Feuerwerk, wie es das eingespielte Autorenduo Stefan Cantz und Jan Hinter (Summ, summ, summ) in Der doppelte Lott abbrennt, sucht beim Blick auf die bis dato ausgestrahlten Folgen aus Westfalen seinesgleichen.
Der achte gemeinsame Einsatz der beiden ungleichen Ermittler ist so albern, zugleich aber so lustig wie zum damaligen Zeitpunkt kein zweiter – klamauklastige Krimis wie Das Wunder von Wolbeck oder Erkläre Chimäre folgen erst viele Jahre später.
Regisseur Manfred Stelzer (Spargelzeit) meistert die oft schmale Gratwanderung zwischen Satire, wortwitzigen Zoten und klassischer Tatort-Unterhaltung aber traumwandlerisch souverän. Mit einer Ausnahme: Der golfende Boerne, der Thiels Auto demoliert und in den Vorgärten des pathologischen Instituts zum Einlochen kurzerhand einen Fahnenmast aus der Verankerung hebt, ist selbst für einen Tatort aus Münster zu viel des Guten. Hier verkommt Der doppelte Lott für einen kurzen Moment zur Klamotte, doch Stelzer findet schnell zurück in die Spur.
Ansonsten reiht sich im 615. Tatort nämlich eine denkwürdige Szene an die nächste – beispielhaft dafür sei Boernes komischer, von genervtem Thielschen Augenrollen begleiteter Monolog zitiert.
BOERNE:
Ich bin natürlich gerne bereit, Ihnen für diese MFG die nötige BKB zu leisten. Ich wette, Sie haben keine Ahnung, was das ist, he? Ah, Thiel, man merkt so deutlich, dass Sie nie studiert haben. Mitfahrgelegenheit. Benzinkostenbeteiligung. Sie haben nie in einer WG gewohnt, nicht? Ich schon. Nicht, dass ich es damals nötig gehabt hätte, das Ganze war mehr ein Experiment. Ein sozial-psychologisches Versuchsmodell.
Die stärkste Szene des Films bleibt aber eine unerwartete Begegnung in der Leichenhalle – doch nicht etwa in der von Boerne und Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch). Einmal mehr ist Boerne nämlich persönlich in den Mordfall involviert und schleicht sich daher heimlich in die Kellerräume seines geschätzten Kölner Kollegen Dr. Joseph „Rottweiler“ Roth (Joe Bausch).
Der Roth? Ganz genau!
Auch die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) sitzen bei Boernes unangekündigter Stippvisite verdattert im Nebenzimmer und trauen ihren Augen kaum. Diese kurze Begegnung der WDR-Ermittler zählt zu den spaßigsten Szenen der Tatort-Geschichte und ist auch in ihrer Länge perfekt konzipiert: Die wenigen, verdutzten Worte, die Ballauf und Schenk bei ihrem selbstironischen Cameo-Auftritt von sich geben, reichen vollkommen aus, um die Pointe genüsslich auszuspielen. Die Show gehört ansonsten Boerne.
Auch Thiel hat einen großen Auftritt: Er darf in der Kneipe der Eltern von Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) zum ersten Mal im Tatort eine Frau küssen – die deutlich jüngere Larissa (Chulpan Khamatova). Warum diese es auf den rechtsgerichteten, titelgebenden Politiker Frieder Lott (Alexander Held, Mord in der ersten Liga), das offensichtliche Tatort-Pendant zu Ronald Schill, abgesehen hat, klärt sich angenehm spät – nur eine von vielen Stärken dieser herausragenden Tatort-Folge aus Münster, bei der das Publikum mit einem köstlichen Radarfallen-Foto in den Abspann entlassen wird.
Eine ganz ähnliche Szene gibt es viele Jahre später in Schwanensee – nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass sich der Tatort mit Thiel und Boerne nach großartigen Folgen wie Der doppelte Lott noch nennenswert weiterentwickelt hat.
Ich mag diese Folge, aber 9 von 10 wären mir dann doch deutlich zu hoch gegriffen. Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass Folgen wie Der Hammer und Schwanensee deutlich schlechter beurteilt wurden. Die Story war interessant, der Humor war gut, ohne dabei – wie leider öfter in Münster der Fall – plump zu sein. Was mir gefehlt hat – beispielsweise im Vergleich zu den zwei besagten Folgen – ist wirklich die Beziehung der Charaktäre zueinander. Die Ausarbeitung der Hauptakteure. Am Perfektesten übrigens in Satisfaktion gelungen.
Ich denke auch, dass 9/10 Punkte etwas zu viel des Guten sind. Keine Frage, dieser Tatort ist lustig und recht gelungen. Aber die Gagdichte ist etwas dünner als etwa in "Schwanensee", und im Vergleich zu jenem Tatort sind hier auch Thiel und Boerne ziemlich uninteressant.
Dass Larissa und Co. in den Fall verwickelt sind, war natürlich klar. Und so ist es eigentlich so wie immer in Münster: Alles hängt irgendwie mit allem zusammen.
Am Ende ist der Porsche auf dem Golfplatz zwar recht amüsant, aber das rechtfertigt noch lange nicht 9/10 Punkte.
Das war's aber auch schon mit der Enttäuschung, denn Vieles war auch sehr gut an diesem Film: Die Thematisierung von Fremdenfeindlichkeit etwa halte ich für ebenso geglückt wie die urkomische Szene mit den Kölner Kollegen. Auch das erwartungsgemäß tolle Schauspiel von Alexander Held ist das Einschalten wert.
Alles in allem ein guter Tatort: Von mir gibt es 7/10 Punkte.
Schreibe einen Kommentar