Folge: 341 | 22. September 1996 | Sender: BR | Regie: Josef Rödl
Bild: BR
So war der Tatort:
Schattig.
Und das nicht nur in der Auftaktsequenz: Kurz nach ihrer Ankunft am Münchner Hauptbahnhof verlieren sich die obdachlosen Tom Bombadil (Bruno Ganz) und Sarah (Lisa Kreuzer, Die dunkle Seite) in einem finsteren Parkhaus für einen Moment aus den Augen. Wenig später ist Sarah tot – überfahren vom ebenso aalglatten wie angetrunkenen Gutmenschen Ingmar Borg (Dominic Raacke, von 1999 bis 2014 als Hauptkommissar Till Ritter im Berliner Tatort zu sehen), der sein Geld mit Spendenprojekten für Bedürftige verdient. Bombadil bleibt nichts außer einem alten Walkman.
Wie auch der Kölner Tatort Platt gemacht oder der Wiener Tatort Unten spielt Schattenwelt in der Welt der Wohnungslosen – doch steht in der Domstadt später vor allem die Suche nach dem Täter im Vordergrund, denn die Drehbuchautoren Joachim Masannek und Josef Rödl (Nach eigenen Gesetzen), der auch Regie führt, verzichten auf das Whodunit-Prinzip und widmen sich ganz dem Beleuchten der Milieudynamik.
Im schlecht ausgeleuchteten Bunker unter der Bavaria, in dem Wohnungslose in einem kargen Schlafsaal die kalten Winternächte verbringen können, verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse und zwischen Schwarz und Weiß: Der obdachlose Rabe (stark: Erwin Leder) kümmert sich sofort um ein Bett für Neuankömmling Bombadil, erklärt, stets denjenigen zu helfen, die zu ihm halten, und wirbt für Mitgefühl gegenüber Menschen wie ihm und seinen Freunden („Sind wir denn Monster?“).
Aber engagiert sich Rabe wirklich so selbstlos für die anderen? Oder handelt er womöglich genauso eigennützig wie der geld- und prestigegierige Borg? Um ungeschminkte Einblicke und Informationen aus erster Hand zu erhalten, mischt sich auch der Münchner Hauptkommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) unter die Obdachlosen – die Rollenverteilung ist im Gespräch mit seinem Kollegen Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) nämlich schnell geklärt.
BATIC: Einer muss an Borg ran, einer an die Penner.
LEITMAYR:
Ich weiß auch schon, wer was macht.
BATIC: Musst mir halt ein paar von deinen Klamotten leihen.
Die Kommissare aus der Stadt an der Isar harmonieren bei ihrem 14. Einsatz so gut wie in kaum einer anderen Folge – dafür gibt es aber auffällige Differenzen mit Kriminaloberkommissar Carlo Menzinger (Michael Fitz), der seine Vorurteile gegenüber Obdachlosen ungeniert zum Ausdruck bringt. Aber auch mit den Behörden gibt es Reibereien: Besonders gelungen ist der Auftritt von Regisseur und Co-Autor Jörg Rödel, der die beiden Kommissare in seiner Rolle als grantiger Sachbearbeiter auf dem Sozialamt auf das Schild vor seinem Schreibtisch aufmerksam macht („Immer nur Einer!“).
Dreh und Angelpunkt des Films ist dennoch Bombadil, der eigentlich Dr. Thomas Bomberg heißt und Leitmayrs Recherchen zufolge zu den Guten gehört – zumindest, wenn er sich tatsächlich nach dem undurchsichtigen Berggeist in J.R.R. Tolkiens später verfilmtem Fantasy-Meisterwerk Der Herr der Ringe benannt hat.
Passenderweise hält sich Dr. Bomberg am liebsten in Kirchen auf, doch nicht nur die Liebe zur Musik und zu Gotteshäusern teilt er mit dem Bach orgelnden „Beethoven“ in Platt gemacht (mit Udo Kier ähnlich prominent besetzt): Beide stammen aus der Oberschicht und sind nach einem Schicksalsschlag auf der Straße gelandet. Bomberg zitiert zwar hin und wieder Paragraphen, hat aber sonst nicht mehr viel von einem Anwalt an sich und bildet so schon rein optisch den Gegenpol zum schnöseligen Borg, der mit seiner attraktiven Lebensgefährtin Michelle Angerer (Marion Mitterhammer, Blackout) von einem Champagnerempfang zum nächsten düst.
Der für Tatort-Zuschauer aus heutiger Sicht ungewohnt bartlose Dominic Raacke verkörpert mit dem skrupellosen Wohltäter Borg allerdings eine etwas eindimensionale und langweilige Figur – insbesondere im Vergleich zu Bombadil, in dessen Rolle Kinostar Bruno Ganz eine herausragende Performance abliefert. Nicht zuletzt aufgrund seiner überzeugenden Interpretation eines feinsinnigen Mannes, dem das Leben übel mitgespielt hat, bleibt die Spannung bis zur Auflösung des obligatorischen zweiten Mordes erhalten.
Der 341. Tatort überzeugt aber auch mit einer starken Atmosphäre, denn Kameramann Volker Tittel (Wir sind die Guten) fängt das schöne München – der Krimititel deutet es bereits an – von seiner Schattenseite ein: Wo auf der Theresienwiese alljährlich das größte Volksfest der Welt stattfindet, öffnen sich auf ihrer Rückseite die Tore des dunklen Bunkers.
Überhaupt gibt es in Schattenwelt nicht viel natürliches Licht – und wenn, dann wird es meist durch den Münchner Hochnebel gefiltert. Roman Bunka (Musik, Alles Palermo) lässt dazu aus Bombadils Walkman melancholisches Violinenspiel ertönen oder untermalt den düsteren Münchner Winter mit den für Straßenmusik charakteristischen Akkordeonklängen.
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