Folge: 4 | 7. Februar 1971 | Sender: SDR | Regie: Theo Mezger
Semi-dokumentarisch.
Der reale Fall eines Totschlags im Hafenmilieu lieferte die Anregung für das Drehbuch, das Leonie Ossowski und Gunther Solowjew gemeinsam entwickelten: Gleich zum Auftakt der gerade einmal 69 Minuten kurzen Tatort-Folge wird der 32-jährige Kaufmann Joachim Fehrlein von dem etwas jüngeren, einfach gestrickten Matrosen Walter Hubert (Peter Weis) niedergestochen, als der sich Auf offener Straße von ihm angegriffen wähnt.
Schnitt.
In einer bemerkenswert langen, knapp 40-minütigen Rückblende blättert der Film nun den schwierigen Alltag des schlecht bezahlten Seemanns auf: Hubert wird von seinem Kollegen Albert (Hans Dieter Trayer, Blechschaden) schikaniert und sogar mit Prügel bedroht. Als das Schiff in Mannheim festmacht, lässt er sich vom Partikulier seinen hart erarbeiteten Lohn und einen Vorschuss auszahlen, um in den Nachtclub „Cha-Cha-Cha“ zu gehen und beides dort zu verprassen.
In dem zwielichtigen Etablissement arbeitet die junge Milly (Irmgard Riessen, Nebengeschäfte) als Animierdame – die möchte Hubert dort herausholen. Seinen naiven Heiratsantrag nimmt Milly gar nicht ernst, lässt sich aber von ihm freihalten und Hubert irgendwann abblitzen, während er ihre berufliche Freundlichkeit mit echter Zuneigung verwechselt und von einer unerreichbaren Zukunft mit ihr träumt.
HUBERT:Wenn ich erst mal nächste Woche auf dem Bunkerboot bin,
mein Patent mach‘, Schiffsführer werd‘. Verstehste?
Hubert verbringt den Folgetag hungrig auf einer Parkbank und im Mannheimer Hauptbahnhof, um abends wieder bei Milly zu sein – weil er pleite ist, wird er aber aus der Bar geschmissen. Als ihm dann auch noch ein kläffender Hund nachstellt, verliert der Ausgenutzte die Nerven: In einer Mischung aus Wut und Enttäuschung tritt er nach dem Tier, bedroht das Halterpaar („Herr Kommissar, mit dem Messer is er uff unsa Babba losgegange“) und nimmt Reißaus. Er wird verfolgt, fühlt sich – wieder mal – unfair behandelt, in die Ecke gedrängt und sticht zu. Erst ab diesem Moment, nach 42 Minuten, betritt Kommissar Eugen Lutz (Werner Schumacher) die Bildfläche und beginnt mit den Ermittlungen.
Ganz nah begleitet Willy „Justus“ Pankau, der vor allem im Bereich der tagesaktuellen Berichterstattung, für Magazinbeiträge und Dokumentationen arbeitete, mit seiner Kamera die Menschen im nächtlichen Hafen- und Bahnhofsmilieu. Dabei gelingen ihm unter schwierigen Lichtverhältnissen stimmungsvolle Eindrücke, die im Wesentlichen ohne Stativ entstehen. Gleichwohl ist seine Handkamera bemerkenswert stabil geführt.
Eine Handschrift von Regisseur Theo Mezger, der zusammen mit Pankau für fast alle Lutz-Tatorte verantwortlich zeichnet, ist im ersten SDR-Beitrag zur Krimireihe allerdings nicht zu erkennen. Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Kamera zwar eine atmosphärisch dichte Milieustudie zeichnet, das Drehbuch aber dramaturgisch nicht viel hergibt.
Zudem wirkt sich kaum positiv aus, was für viele Lutz-Tatorte konstitutiv wird: Die Zusammenarbeit mit (Laien-)Schauspielergruppen. Hier ist es die Freilichtbühne Mannheim, deren Mitspieler zwar fein agieren, sich aber bei den quasi-dokumentarischen „Reportage-Aufnahmen“ nicht profilieren können. Das gilt auch für die professionellen, hauptberuflichen Schauspieler: In der Bar der argwöhnischen Frau Subireit (Renèe Hepp, Ein ganz gewöhnlicher Mord) und dem wenig zimperlichen Herrn Menges (Karl-Heinz von Hassel, ab 1985 als Frankfurter Tatort-Kommissar Brinkmann zu sehen) haben beide Akteure keine Möglichkeit, Akzente zu setzen. Schließlich legt Peter Weis, der mit seiner markanten Stimme neben Theaterengagements vor allem als Hörspiel- und Synchronsprecher reüssierte, die Darstellung des ausgenutzten Matrosen völlig zurückgenommen an.
Gunther Witte, den „Erfinder“ der Tatort-Reihe, führt das zu der falschen Erinnerung, es habe sich beim Erstling des SDR ursprünglich um eine Dokumentation gehandelt, die dann zum Kriminalfilm umgearbeitet worden sei. Dieser Eindruck fußt auch auf der Beobachtung, dass die Polizistenrollen keine Ermittlungsarbeit im eigentlichen Sinne leisten: Die Kamera begleitet die Routine der Kriminalen, nicht mehr und nicht weniger. Kein einfacher Premierenfall, um Kommissar Lutz einzuführen, er bleibt farblos. Allein darüber, dass er ein begeisterter Koch ist, unterhalten sich zwei Kollegen – ein Hobby, das in späteren Folgen wieder aufgegriffen wird.
Viele Umstände und Schwächen des Films sind den schwierigen Produktionsbedingungen geschuldet; sie zwangen die Redaktionen zu diesem frühen Zeitpunkt der Krimireihe dazu, schnell Ideen einzubringen, die sowieso schon bei den Rundfunkanstalten vorhanden waren und dann so gut wie möglich an das beschlossene Konzept angepasst. Ansprüche an einen Kriminalfilm kann der 4. Tatort unterm Strich aber nicht erfüllen.
Bewertung: 4/10
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