Die 1202. Tatort-Folge, und das ist durchaus typisch für die oft eigenwilligen Beiträge von Radio Bremen, ist ansonsten alles andere als ein gewöhnlicher Sonntagskrimi, der nur bewährten Mustern folgt. Liebeswut ist vielmehr eine hochklassig besetzte, doppelbödig (bzw. doppelwändig) arrangierte und unheimlich finster inszenierte Kreuzung aus elektrisierendem Horrorthriller, wuchtiger Milieugroteske und satirisch angehauchtem Sozialdrama. Das muss man auf diesem Sendeplatz erst einmal aushalten – und in Etappen verdauen.
Allein die maßlos überzeichneten, grandios gespielten Nebenfiguren sind aber schon das Einschalten wert: Allen voran brilliert Aljoscha Stadelmann (
Borowski und das Glück der Anderen), der mit Anne Zohra Berrached schon bei ihrem ersten Tatort
Der Fall Holdt zusammenarbeitete, im dreckverschmierten Unterhemd als bemerkenswert abgefuckter, ewig am Eis lutschender Nachbar Gernot Schaballa, dessen Maurerdekolletee dem Publikum schon bei der ersten Szene ins Gesicht springt. Ein denkwürdiger Auftritt, aber auch ein Auftritt an der Grenze des Erträglichen.
Aber da ist auch die herrlich naive Nachbarin Jaqueline Deppe (Milena Kaltenbach,
Die Kalten und die Toten), die mit dem getrennt lebenden Mann der Ermordeten Zwillinge erwartet. Sie würde allein wohl nicht mal einen Goldfisch durchbringen. Ihr Lover Thomas Kramer (Matthias Matschke,
Der treue Roy) bleibt lange die Unbekannte des Films, während der pädophile Klischee-Hausmeister Joachim Conradi (Dirk Martens,
Schlangengrube) als schwächste Figur stets ausrechenbar bleibt und sein Schicksal früh zu erahnen ist.
Ansonsten schlägt das Drehbuch aber zahlreiche Haken – und leider auch manchen zu viel. Auf den zweiten Blick fehlt der Geschichte auch die Glaubwürdigkeit, und vor allem dem dünnen Tatmotiv, das sich erst auf der Zielgeraden offenbart, mangelt es spürbar an Substanz. Die ausufernde Optik, die grotesken Figuren und das David-Lynch-ähnliche Arrangement aus Wahrheit, Witz und Wahnsinn erdrücken den Kriminalfall förmlich. Dass die Filmemacher Moormann eine persönliche Vorgeschichte andichten, die in Zusammenhang zum Ekel-Nachbar Schaballa steht, wirkt da besonders überambitioniert.
Angesichts der steilen Spannungskurve und des grandiosen Ästhetikfeuerwerks sind diese Mängel für hartgesottene Zuschauer aber zu verschmerzen: Der Film macht den Abstrichen zum Trotz einfach einen Heidenspaß. Und so setzt das junge Bremer Team mit diesem düster-irritierenden Genremix und einem Großangriff auf die Sehgewohnheiten des Stammpublikums ein erstes Ausrufezeichen – da bleibt das Fehlen von Dar Salim am Ende nur eine Fußnote.
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