Am 16. Februar 2025 zeigte Das Erste den Berliner Tatort Vier Leben, bei dem Hauptdarsteller Mark Waschke in seiner Rolle als Hauptkommissar Robert Karow eine Mordserie im politischen Berlin aufklären muss. In unserem Interview gibt der Schauspieler eine Einschätzung zu dem Fall und beantwortet weitere Fragen zu den Krimis aus der Hauptstadt und zu seiner Rolle.
Herr Waschke, was ist aus Ihrer Sicht das Besondere am neuen Berliner Tatort Vier Leben?
Er nimmt sich einer Geschichte an, die große politische und gesellschaftliche Dimensionen hat und auf wahren Begebenheiten beruht. Aus dem Stoff hätte man auch zwei Filme machen können, so viel steckt da drin. Dennoch schwingt er sich empor, als 90-minütiger Tatort erzählt zu werden. Spannend und gut geglückt ist, dass der Film nicht einfach Position bezieht, im Sinne von hier sind die Guten, da sind die Bösen, und jetzt haben wir alles aufgeklärt und alles ist in Ordnung. Der Film reißt etwas auf. Im ersten Moment steht man ohnmächtig davor und denkt: Mein Gott, ich kann mit keinem richtig mitfühlen und irgendwie kann ich mit allen richtig mitfühlen. Die gehen mir alle ein bisschen auf den Wecker und irgendwie kann ich sie alle ein bisschen verstehen.
So, wie es im Leben ja auch manchmal ist?
Genau. Man hat es ja immer gerne mit einfachen Antworten, gerade im politischen Raum, in Zeiten von Polarisierung. Es geht aber nicht nur so oder so, sondern auch in die eine und in die andere Richtung. Das sind dann auch nur zwei Wahrheiten, aber es gibt noch ein paar mehr. Das finde ich sehr geglückt, genau wie den Versuch, einen politischen Thriller im Tatort zu erzählen. Ich mag es nicht, wenn Fernsehformate sich eines politischen Themas annehmen und dann gibt’s noch einen Themenabend und hinterher wird noch mal in großer Runde darüber diskutiert. Das geht selten richtig gut auf, weil man dadurch oft nur die Gedanken und Gefühle bestätigt bekommt, die man vorher schon hatte. Ich finde es interessant, wenn ein Film oder ein Kunstwerk einen durchrüttelt, wie eine Achterbahnfahrt, oder ganz still daherkommt, wie eine Ruderbootfahrt. Hauptsache es macht etwas mit einem und man schaut hinterher anders auf die Welt als vorher.
Die Berliner Tatort-Doppelfolge Nicht als die Wahrheit drehte sich um ein rechtes Terrornetzwerk. In Vier Leben geht es nun um eine Mordserie im politischen Berlin. Sind diese politischen Krimis ein neues Markenzeichen?
Das würde ich nicht sagen. Das waren jetzt zwei Stoffe, für die sich die Verantwortlichen interessiert haben. Die Gemeinsamkeit liegt eher da, dass man schaut: Welche Geschichten kann man in Berlin erzählen, die so in Städten wie Ludwigshafen oder Stuttgart nicht möglich sind? Im Vergleich zu einem Mord aus Eifersucht hat das politische Berlin natürlich eine ganz andere Wucht und Auffächerung, auch an Persönlichkeiten. In beiden Filmen finde ich interessant, dass man auch mit Blick auf die Nebenfiguren ganz lässig nebenher ein kosmopolitisches und offenes Leben erzählt. Man erhält einen kurzen Einblick in Lebenswelten, ohne sie zu beurteilen oder moralisch abzufeiern. Der eine lebt mit einem Mann zusammen oder da ziehen zwei Frauen ein Kind alleine auf. Das passiert en passant und es wird nicht mit dem Finger darauf gezeigt. So wie es in Wirklichkeit auch passiert.

Man muss sich dann leider oft in den Social-Media-Diskursen rechtfertigen, weil die lautesten Schreihälse so tun, als wäre ihre Weltsicht die vorherrschende. Das sind die Lautesten, aber nicht unbedingt die Repräsentativsten. Und ich finde die Lässigkeit, mit der man eine sich entfaltende Gesellschaft erzählt, die in ganz unterschiedliche Richtungen gleichzeitig geht und sich trotzdem noch einigen kann, genau richtig für Berlin. Das ist das Markenzeichen vieler Tatort-Folgen, die wir auch vorher schon mit Meret Becker gemacht haben.
Dazu passt ja auch die aktuelle Besetzung im Berliner Tatort: Tan Caglar spielt den ersten Tatort-Assistenten, der im Rollstuhl sitzt, Corinna Harfouch ist letztes Jahr 70 Jahre alt geworden – und Sie selbst spielen mit Robert Karow den ersten bisexuellen Ermittler der Tatort-Historie. Haben Sie das Gefühl, dass der Tatort – nicht nur in Berlin – inzwischen sehr viel diverser aufgestellt ist als früher?
Wir sehen Karow zwar einmal mit einem Mann und einmal mit einer Frau, aber das Wort Bisexualität ist dort nie gefallen. Weder von ihm selbst, noch von jemand anderem. Und das ist genau die Stärke, dass man sich nicht bemüht, unbedingt diverser sein zu wollen, auch wenn es von Seiten der Verantwortlichen bestimmt professionelle Überlegungen gibt, wenn Figuren neu besetzt werden. Man trägt es nicht auf dem Servierteller herum. Es ist selbstverständlich und man macht es einfach. Sodass man als Zuschauer auch nicht das Gefühl hat, man wird belehrt oder man versucht, etwas bewusst richtig zu machen, denn vorher war es irgendwie falsch. Statt „Diversität“ würde ich sagen, es ist als Abbild unserer Gesellschaft einfach deutlich realistischer, als das, was man bis dahin gesehen hat. Es ist das, was sich der Berliner Tatort vor zehn Jahren groß auf die Fahne geschrieben hat: harten Realismus erzählen. Man schaut auf die Welt, wie sie ist, und versucht, davon etwas abzubilden und dann entsteht etwas, was Sie als diverser bezeichnen würden.
Ohne es in bestimmte Begriffe einordnen zu wollen.
Ja, genau. Dann fühlen sich andere gleich wieder vor den Kopf gestoßen. Ich vermeide immer alles, wo es darum geht, etwas richtig zu machen und andere machen es dann falsch. Realismus ist etwas, worauf man sich gut einigen kann. Das ist ein Begriff, den finde ich stimmiger. Vergleicht man den Tatort etwa mit den früheren Derrick-Filmen und den Münchner Villen. Und das ist ja auch wieder eine Stärke des Tatorts als Fernseh-Lagerfeuer. Es kommen unterschiedlichste Menschen zusammen. Da sitzen dann Enkelin, Mutter und Oma und gucken ihn zusammen. Und am nächsten Tag wird auf der Arbeit, in der Schule oder in der Uni darüber geredet. Eine Agora zu haben, wo unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Meinungen für 90 Minuten die Klappe halten und sich das anschauen. Alle wichtigen Entwicklungen im Tatort, zum Beispiel damals bei Schimanski in den Achtzigern, hatten mit einer Realismus-Ritze zu tun. Dass Schimanski in seinem ersten Tatort gleich etliche Male „Scheiße“ gesagt hat, hat die BILD-Zeitung aufgeregt. Aber es ist das, was auf der Straße passiert. Und dann hat man gesagt: Wir tun jetzt nicht mehr so, als wären Kommissare steife Typen in Anzügen, sondern zeigen Leute wie dich und mich.
Vier Leben ist bereits der vierte Tatort, den Sie mit Corinna Harfouch gedreht haben. Wie unterscheidet sich die Zusammenarbeit von der mit Meret Becker?
Sie sind beide ganz großartige Schauspielerinnen, jede auf ihre Weise. Meret hat eine Rolle verkörpert, die ihr Club- mit einem Familienleben zu vereinbaren versuchte. Gerade im Zusammenspiel mit Karow hat ihre Nina Rubin eine Intuition oder Emotionalität reingebracht, die im Gegensatz zu ihm stand. Und das hat sich jetzt mit Corinna Harfouch und mir weiterentwickelt, genau wie die Figur von Robert Karow selbst. Der ist ja inzwischen auch ein anderer, als er vor acht Jahren war. Corinna Harfouch kommt, wie ich, vom Theater, wir haben beide viele Sachen am Theater gemacht. Insofern ist es eine Freude mit ihr, in jeder kleinsten Szene. Und wenn wir nur im Auto sitzen und zwei Worte wechseln, über irgendein Verhör. Mit ihr kann ich jede Szene spielen und es passiert immer etwas, auch zwischen den Zeilen. Das bedeutet nicht, dass das mit Meret nicht der Fall war, aber gleich im ersten Film mit Corinna fiel mir das auf. Da war das Drehbuch sehr herausfordernd, und doch ging es ganz leichtfüßig mit ihr. Und Stichwort „Abbilden der Realität“: Es ist toll, dass da eine Kollegin hinzugestoßen ist, die aus einer Gruppe der Gesellschaft kommt, über deren Diskriminierung man sehr wenig redet, nämlich Altersdiskriminierung. Dass da eine gestandene, ältere Person steht, die kurz vor dem Ruhestand ist und es nochmal richtig wissen will, das kitzelt dann natürlich in der Figur Robert Karow ganz andere Seiten wach, die vorher im Zusammenspiel mit Meret noch nicht so da waren. Das ist eine große Freude.
Meret Becker hat uns vor drei Jahren im Interview verraten, dass ihr Lieblingstatort Amour Fou war. Gibt es auch einen Fall, der Ihnen in Erinnerung geblieben ist?
Es gibt da einige. Die Arbeit mit Meret war eine unglaubliche Freude. Es gab viele einzelne Momente, an die ich mich erinnere. Als wir uns nach zwei, drei gemeinsamen Filmen mehr und mehr vom Spiel her gefunden hatten, da sind Sachen eingeflossen, die bei der Probe passiert und beim Dreh drin geblieben sind. Ganze Sätze, die in Kritiken zitiert wurden, und ich dachte: Ach guck, das ist nicht von der Autorin, da waren Meret und ich die Autoren. Angefangen bei der Beziehung von Meret und mir, die wir über die Jahre entwickelten und bewusst nicht alles erzählt haben. Bis hin zum Tatort Die dritte Haut, in dem wir plötzlich zusammen morgens im gleichen Bett liegen. Aber man erzählt nicht die Vorgeschichte. Es könnte also sein, dass schon viel mehr passiert ist. Das hat mir immer sehr gefallen.

Ansonsten muss ich gestehen, – und das hat jetzt nichts mit Meret zu tun, sondern mit den tollen Umständen, wie dem Drehbuch von Erol Yesilkaya und der Regie von Stefan Schaller – dass mein Solo-Tatort Das Opfer, den ich kurz nach ihrem Abgang gemacht habe, einer meiner liebsten Filme überhaupt ist. Nicht nur mein liebster Tatort, sondern auch an sich ein starker Film, der auch als Film einfach funktioniert. Denn er erzählt viel darüber, warum wir so sind, wie wir sind und wie wir alle mit den Dämonen unserer Vergangenheit zu kämpfen haben. Und dass das Hingucken in die Angst hinein, wo man nicht hingucken will, etwas Heilsames haben kann.
Auch weil es einer der persönlichsten Tatorte von Robert Karow ist?
Genau, mit Sicherheit.
Von 2017 bis 2020 waren Sie in einer wichtigen Rolle in der Netflix-Serie „Dark“ zu sehen, wodurch Sie auch international bekannt wurden. Wo liegen die Unterschiede bei einem Dreh für Netflix im Vergleich zu einem Tatort-Dreh?
Organisatorisch betrachtet ist es so: Wenn ganze Serien gedreht werden – „Dark“ hatte rund einhundert Drehtage – dann ist man drei bis vier Monate konstant am Arbeiten. Als Noah hatte ich in der ersten Staffel aber nur etwa 10 Drehtage, da habe ich alle paar Wochen mal kurz etwas zu tun gehabt. Ein Tatort hingegen ist ein Ritt. Das sind fünf Wochen Drehzeit, ein paar Wochen Vor- und ein paar Wochen Nachbereitung, und dann ist das Ding durch. Insofern ist das wesentlich fordernder, körperlich wie mental. Wenn ich da an eine andere Serie denke, die ich gemacht habe – „The Billion Dollar Code“, über Hacker in Berlin, die leider ein bisschen untergegangen ist, aber die ich ganz toll finde – da war alles ein bisschen ausführlicher. Man hat ein bisschen mehr technische Möglichkeiten, auch wenn wir da nicht das ganz große Budget hatten. Bei „Dark“ war das schon anders, sodass man dann mit der Kamera ein paar ungewöhnliche Sachen machen kann. Aber von der Vorbereitung her ist es wie sonst auch. Man bereitet sich vor und beim Spielen lässt man die Sachen passieren.
Glauben Sie, der Tatort wird sich langfristig gegen Streaming-Formate behaupten?
Auf jeden Fall. Der Tatort ist ja ein ganz eigenes Genre. Und natürlich muss er zwangsläufig scheitern, wenn er versucht, etwas zu imitieren oder so zu sein, als ob. Bei einer David-Fincher-Serie kostet schon die erste Folge so viel wie mehrere Tatorte. Dagegen kommt man nie an. Manchmal wird im deutschen Fernsehen versucht, sowas zu imitieren, das kommt aber nicht wirklich aus dem eigenen Herzen. Ich finde den Tatort immer dann am stärksten, wenn er Geschichten erzählt, wie Menschen in Deutschland miteinander umgehen. Da geht es nicht um extreme Erzählweisen oder darum, noch spektakulärer zu werden. Wenn man etwas über Deutschland verstehen will, muss man Tatort oder Polizeiruf gucken. Dann sieht man, wie die Deutschen sich selber sehen und begreifen. Jemand hat mal ausgerechnet, dass in Deutschland im Jahr insgesamt 350-400 Leute ermordet werden. Im deutschen Fernsehen sind es etwa zehnmal so viele Tote. Das Wichtigste ist, dass man sich da die Demut vor dem menschlichen Leben und der Endlichkeit unseres Daseins bewahrt.

Bekommt der Tatort das hin?
Beim Berliner Tatort haben wir genau deshalb eingeführt, auch im Hinblick auf Realismus, die weißen Spusi-Anzüge zu tragen und nicht nur mit dem Kaffeebecher in der Hand zur Leiche zu kommen, als würde das jeden Tag drei Mal passieren. Es ist immer etwas Besonderes. Auch die echten Ermittler haben Hochachtung davor. Das kann einen das moralisch lehren: Achtung vor dem Leben und Achtung voreinander. Und zusammenkommen und sich Geschichten erzählen. Das kann so nur Tatort.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sehr gerne und alles Gute!
Interview: Sascha Noack
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