Folge 30
24. Juni 1973
Sender: BR
Regie: Wolf Dietrich
Drehbuch: Herbert Rosendorfer, Niklas Frank
So war der Tatort:
Gemütlich.
In einer Stimmung irgendwo zwischen der ZDF-Serie Königlich Bayerisches Amtsgericht und launiger Mundartbühne nimmt der 30. Tatort seinen Anfang: Kriminaloberinspektor Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer), der bei seinem zweiten Einsatz in München erneut von Oberwachtmeister Ludwig Lenz (Helmut Fischer) unterstützt wird, empört sich darüber, dass einem armen „Muatterl“ (Franziska Liebing) auf dem Friedhof am helllichten Tag ihre Handtasche geraubt wird.
Eigentlich ist das kein Fall für die Mordkommission. Aber den Kriminalen berührt das Schicksal der Rentnerin, und tatsächlich kann er den Obdachlosen Franz Sondermeier (Karl Obermayr) schnell als Täter dingfest machen. Als Veigl im Osterurlaub am Chiemsee, den er mit seinem Saarbrücker Tatort-Kollegen Peter Liersdahl (Dieter Eppler, debütierte 1970 in Saarbrücken, an einem Montag) verbringt, von einem Einbruch erfährt, bringt er den sofort in Zusammenhang mit dem Handtaschenräuber. Er stellt die Verbindung zum Entführungsfall „Schneck“ her, an dem er sich seit geraumer Zeit die Zähne ausbeißt.
Amtsrichter Herbert Rosendorfer, für den Weißblaue Turnschuhe das erste von vier Tatort-Drehbüchern ist, kann bei seiner Arbeit unzweifelhaft aus seiner Berufserfahrung schöpfen. Er stellt stimmig die Zusammenhänge dar, die zur Aufklärung einer Entführung führen, und trifft wohl auch den Ton, der in den 70ern den Dienstalltag von (Land-)Polizeibeamten prägte. Kameramann Günther Haase, der unter anderem in zahlreichen Folgen der Serie Stahlnetz (die als Tatort-Vorläufer gilt) das Bild gestaltete, steht als Regisseur erstmalig Wolf Dietrich zur Seite, der noch drei weitere Male für den Tatort am Ruder sitzt.
Unter Dietrichs Regie dauert es jedoch lange, bis der zweite Fall des Münchner Oberinspektors Fahrt aufnimmt. Erst nach und nach kommt ein Puzzlestück zum anderen, und weniger Zufälle, als vielmehr Kleinigkeiten bringen die Handlung voran. Insofern durchaus interessant, was sich aus einem harmlosen Handtaschenraub alles entwickeln kann. Damit, dass wie in fast allen Tatort-Folgen der Veigl-Ära bis in die Nebenrollen mit bekannten bayrischen Volksschauspielern besetzt wurde, tut sich der Film allerdings keinen Gefallen: Zu urig, zu humorvoll, zu ironisierend klingen die Dialoge, deshalb ist dieser Tatort an manchen Stellen als Kriminalfilm kaum ernst zu nehmen.
Offensichtlich ist der Sender zur Zeit der Produktion von Weißblaue Turnschuhe ziemlich unentschieden über die Richtung, die die Münchner Beiträge einschlagen sollen. Nach dem Veigl-Erstling Münchner Kindl hatte die Redaktion pointierte Reaktionen erhalten („Bierdimpfelei“, „Bauerntheater“); insgesamt sei zu wenig Polizeialltag gezeigt worden. Als zweiter Beitrag war „Endlauf 4×100 Meter“ bereits fertiggestellt worden, landete nach dem Olympia-Attentat aber zunächst im Giftschrank, um umgearbeitet und neu geschnitten erst 1974 als 3:0 für Veigl erstmalig ausgestrahlt zu werden.
Schon in diesem Tatort war der Schwerpunkt stärker auf die Ermittlungsarbeit gelegt worden: Veigl musste sogar vier Fälle auf einmal bearbeiten. Nun spitzt sich das Buch in Weißblaue Turnschuhe auf ein einziges Verbrechen zu. Dieser Konzentration fallen ausgerechnet solche Szenen zum Opfer, die – aus heutiger Sicht – am nachhaltigsten von Veigl in Erinnerung geblieben sind: Oswald, sein treuer Dackel, wird aus dem Polizeipräsidium verbannt; allein im Privatleben des Kommissars hat er noch einen Platz.
Merklich zurückgenommen agiert neben Lenz, der sich gleich mehrfach von seinem Vorgesetzten belehren lassen muss, auch Kriminalwachtmeister Brettschneider (Willy Harlander). Im zweiten Veigl-Tatort fokussiert sich eben vieles auf den grantelnden bayrischen Oberinspektor – das ist zwar erst auf der Zielgeraden wirklich spannend, aber zumindest unterhaltsam anzusehen.
Bewertung: 6/10
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