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Streifschuss

Folge: 115 | 24. August 1980 | Sender: NDR | Regie: Hartmut Griesmayr

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So war der Tatort:

Bundestagswahlmitentscheidend – das jedenfalls ist die steile These, die die Parteiführung der CDU zusammen mit Elisabeth Noelle-Neumann vom Meinungsforschungsinstitut Allensbach in ihrer Stimmungsanalyse des Wahlkampfs 1980 diskutierte.. 
Mitten in der emotionsgeladenen Atmosphäre des Wahlkampfs, der sich auf eine Auseinandersetzung zwischen Helmut Schmidt und seinem Herausforderer („Stoppt Strauß!“) konzentrierte, sendete der NDR im Hochsommer 1980 nämlich einen Tatort, in dem sich die Filmemacher alle Mühe geben, die bigotte Moral der feinen, konservativen Bremer (!) Gesellschaft zu sezieren. In dieses Bundesland hatte die Redaktion das Stück nämlich verlegt, um nicht noch weitere Schärfe in die Auseinandersetzungen um den – just von den CDU-Ministerpräsidenten im Norden – gekündigten NDR-Rundfunkstaatsvertrag zu bringen.
Einleitend wird der Zuschauer Zeuge, wie der renommierte Theologieprofessor Paul Redders (Willy Witte, Strandgut) in einem Taxi einen Herzinfarkt erleidet. Imo Schwarz (Matthias Ponnier, Mitternacht, oder kurz danach), in dessen Rotlichtbar der Taxifahrer Lukas (Horst Michael Neutze, Alles umsonst) gerade eine Ladung Pornofilme abliefert, sieht darin eine günstige Gelegenheit und beschließt, den toten Hochschullehrer auf ein Zimmer seines Bordells zu bringen. Er will Ursula Redders (Agnes Fink, Lockruf), die Ehefrau des Toten, mit der Behauptung erpressen, ihr Mann sei dort beim Liebesspiel verstorben. 
Nun versucht der mit dem Professor befreundete Polizeidirektor Gerres (Hans Häckermann, ermittelt ein Jahr später einmalig als Hauptkommissar Beck in Slalom) die Angelegenheit diskret zu bereinigen, weil der konservativen Partei ansonsten im gerade stattfindenden Lokalwahlkampf Ungemach drohen würde. Christian Redders (Ekkehard Belle), der Sohn des Verstorbenen, ist allerdings nicht bereit, dieser Vertuschungsaktion zuzustimmen: Er kann und will sich nicht vorstellen, dass sein Vater in einem Puff verkehrt hat. Also legt er sich mit dem Bordellbesitzer an.
Kriminalhauptkommissar Jochen Piper (Bernd Seebacher), der nach Streifschuss nur noch in einer weiteren Tatort-Folge zu sehen ist (in Kindergeld von 1982), kommt erst nach einer knappen Stunde ins Spiel, als im Rotlichtbezirk eine Schießerei stattfindet. Der Ermittler will sich allerdings nicht in der Weise instrumentalisieren lassen, wie sich das die Leitungsebene der Polizei gedacht hatte – und sorgt mit seiner Hartnäckigkeit schließlich dafür, dass die Erpressungsstory aufgeklärt wird und sich Familie wie Freunde nun die Frage nach eigenen Moral- und Tugendvorstellungen stellen lassen müssen. 

PIPER:
Ich lass mich nicht gerne für dumm verkaufen.


Drehbuchautor Herbert Lichtenfeld, der vor allem mit den Tatort-Folgen mit dem Kieler Hauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) reüssierte (vgl. Blechschaden oder Reifezeugnis), zeigt in seiner Geschichte einmal mehr nur sehr geringes Interesse an der Polizeiarbeit. Im Mittelpunkt seines Buches stehen vielmehr der Sohn, die Witwe und die Parteifreunde des Verstorbenen. Gemeinsam und parallel versticken sie sich in eine Situation, die keinen adäquaten Ausweg mehr findet.
Insofern bietet der damals vielbeschäftigte Krimiautor in seinem 17. Tatort einen sehr klassischen Plot. Ursprünglich war auch Streifschuss für einen Finke-Tatort gedacht; und so übernimmt Seebacher die zurückhaltende Art des Kommissars, seine moralische Unbestechlichkeit und nicht zuletzt auch sein (in Verhören) außerordentlich zurückhaltendes Wesen für die Interpretation seiner Kommissarsfigur direkt von Schwarzkopf. 
Viel Platz, sich neben den anderen schauspielerischen Schwergewichten zu profilieren, bleibt Seebacher allerdings nicht. Das liegt zum einen daran, dass weder Drehbuch und Redaktion, noch die Regie der Figur des Ermittlers besonderes Augenmerk schenken: Der NDR hatte zur Entstehungszeit des Films den letztlich gescheiterten Versuch unternommen, „Spielkommissare“ zu besetzen – besser bekannt als die Tatort-„Eintagsfliegen“ Nagel, Ronke, Schnoor, Beck und Greve
Zum anderen lässt Seebacher sein beabsichtigt zurückgenommenes Auftreten im Vergleich mit der hochkarätigen und schwergewichtigen Besetzung der Episodenrollen – Fink, Ponnier, Neutze und auch Häckermann – letztlich ziemlich blass aussehen. Und Hartmut Griesmayr (Alles umsonst) inszeniert seinen vierten Tatort unentschlossen zwischen gesellschaftskritischer Stellungnahme und Gaunergeschichte. 
Dennoch bietet die 115. Ausgabe der Krimireihe eine durchaus spannende Erpressergeschichte, in der selbst die Ganoven nicht völlig unsympathisch gezeichnet sind. Alle eint, dass sie die Gelegenheit beim Schopf ergreifen wollen, eine unübersichtliche Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen, sich dann aber in einem Geschehen verstricken, dass sie nicht mehr kontrollieren können. Und damit finden sie sich dann sogar in der gleichen Situation wieder wie die vermeintlich feinere Gesellschaft.
Bewertung: 6/10

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