Folge: 125 | 31. Mai 1981 | Sender: NDR | Regie: Hans Dieter Schwarze
Bild: NDR |
So war der Tatort:
Ausweichend.
Noch vor der „geistig-moralischen Wende“, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1982 in seiner Regierungserklärung proklamierte, und ein paar Jahre vor dem Höhepunkt im Historikerstreit schrieb Hansjörg Martin sein Buch Das Zittern der Tenöre über den Umgang mit der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus – und die Tatort-Adaption seines Stoffes inszeniert mit Hans Dieter Schwarze derselbe Regisseur, der bereits für die Verfilmung von Martins Roman Rechts neben dem Henker als Der Fall Geisterbahn verantwortlich zeichnet.
Verdrängung, resümiert Martin die Vergangenheitsbewältigung, ist in der Provinz das entscheidende Kennzeichen der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus. Im 126. Tatort stößt der Rentner Otto Fintzel (Georg Lehn, Kurzschluss) beim Isolieren seines Dachbodens auf einen Koffer voller Dokumente und Devotionalien aus der Zeit der NS-Diktatur. Beim wöchentlichen Treffen seines Männergesangvereins „Germania“ erzählt er unvorsichtigerweise von diesem Fund und löst damit Befürchtungen bei seinen gleichaltrigen Sangesbrüdern aus – dem Oberstudienrat Rainer Buchholz (Paul Edwin Roth, Kassensturz), dem Apotheker Walter Hanke (Hans Hessling, Kressin und der tote Mann im Fleet) und dem Wirt Klaus Möhlmann (Heinz Schimmelpfennig, spielte von 1973 bis 1977 acht Mal den Kommissar Franz Gerber in Baden-Baden). Die Männer vermuten, dass sich in Fintzels Koffer Material über ihre Mitgliedschaft in der Nazi-Partei befinden könnte und so beschließen sie jeder für sich, den Koffer zu entwenden.
Ein daraus resultierender Todesfall nach einer Dreiviertelstunde verhilft dann dem Lübecker Kriminalhauptkommissar Horst Greve (Erik Schumann, Saarbrücken an einem Montag…) zu seinem ersten und einzigen Einsatz: Er quartiert sich zur Übernachtung undercover im Übungslokal ein und bietet seine Unterstützung im Männerchor an, betreibt beim obligatorischen Vorsingen allerdings wenig Werbung in eigener Sache.
HANKE:
Der singt wie ’ne Gießkanne.
Sehr genau skizziert Filmemacher Hans Dieter Schwarze den Kosmos der aussterbenden Männergesangvereine und setzt ihnen mit diesem Film ein stimmiges Denkmal. Dazu gehört auch die Besetzung des Chorleiters Fiedler mit Peter Janssens – einem Komponisten also, der vor allem im Bereich der geistlichen Musik reüssierte.
Endwarden, der fiktive Ort der Handlung, lässt sich im Kreis Herzogtum Lauenburg an der Elbe verorten; vor allem Motive aus Geesthacht und Trittau sind erkennbar. Hier zeichnet der Film das Bild einer Männergesellschaft, die gemeinsam – und ziemlich unreflektiert – Erinnerungen an die Nazi-Zeit teilt. Da werden im Nachklapp des Übungsabends, bei entsprechendem Alkoholpegel, dann Stücke wie das Wimpelweihenlied „Nun lasst die Fahnen fliegen“ von Hans Baumann gesungen.
Nahe kommt den Sangesbrüdern die Tragik der Vorkriegs- und Kriegszeit nur, als sie davon ausgehen müssen, dass ihre persönlichen Verstrickungen publik werden könnten. Sowohl Oberstudienrat Buchholz als auch Apotheker Hanke und Wirt Möhlmann haben ganz offensichtlich Grund zur Sorge, dass Vergangenes bekannt wird: Der Oberstudienrat wird von seinen Schülern erpresst, der Apotheker hat sein Geschäft zum Nachteil einer jüdischen Familie erworben und seine Tochter sieht deshalb das Ende ihrer politischen Karriere als Stadträtin gekommen. Sie alle eint das Desinteresse an Aufklärung.
Das Zittern der Tenöre gehört in die Reihe der NDR-Tatorte, in dem der Fokus stark auf dem Thema liegt, während die Figur des Ermittlers von untergeordneter Bedeutung bleibt. Wie bei den anderen „Eintagsfliegen“ Beck, Nagel, Ronke und Schnoor haben die Filmemacher kaum Interesse an den Polizisten. Wobei allerdings – im Vergleich zur Buchvorlage – eine entscheidende Änderung vorgenommen wird: Kommt Kommissar Greve im Film zu den Ermittlungen aus Lübeck angereist, gehört er im Roman von Anfang an zur Endwarder (Dorf-)Gemeinschaft dazu, ist erkennbar unsicherer unterwegs zwischen der Kameradschaft der Sangesbrüder und seinen beruflichen Pflichten.
Verdrängung oder Aufklärung? Welcher Preis ist für das eine wie das andere zu zahlen? Der Film verweigert sich auf allen Ebenen einer klaren Antwort. Denn nachdem der Koffer schließlich geöffnet und inspiziert wird, wird er auch genauso schnell wieder geschlossen – und selbst die Auflösung des Todesfalls wird in diesem Tatort nicht eindeutig geklärt.
Bewertung: 5/10
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