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Schatten

Folge: 506 | 28. Juli 2002 | Sender: Radio Bremen | Regie: Thorsten Näter

Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg

So war der Tatort:

Überfällig. 

Erst 2002 widmet sich die Krimireihe zum ersten Mal dem Thema Linksterrorismus, das Mitte der 70er Jahre die Bundesrepublik aufgewühlt hatte – etwas spät für ein Format, das sich doch stets bemüht, gesellschaftspolitische Entwicklungen abzubilden. 
Dafür legt Radio Bremen allerdings einen packenden Beitrag vor, der nicht nur die Zeitgeschichte mit einem aktuellen Kriminalfall verknüpft, sondern auch noch ungekünstelt das Sechstagerennen und James-Bond-Darsteller Roger Moore in die Handlung einzubauen vermag: Der Tod eines Journalisten, den Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) gekannt hat, bildet den Aufhänger, mit dem Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter schlüssig in die Biographie der Bremer Kriminalen einsteigt. 

„Furchtbar ist es zu töten, aber nicht andere nur, auch uns töten wir“, zitiert sie aus Bertolt Brechts Die Maßnahme – einen Text also, den die Mitglieder der RAF in ihren Briefen aus der Haft an die Gesinnungsgenossen schrieben. Lürsens (Um-)Weg zur Polizei war bis zu dieser Folge nur angedeutet worden. Nun blendet die Handlung 26 Jahre zurück, als sie gemeinsam mit ihrer Gruppe von kritischen Linken nach dem Tod von Ulrike Meinhof am 9. Mai 1976 versucht hatte, die Auslieferung der Zeitung „Weserexpress“ zu stoppen. 
Bei dieser Auseinandersetzung starb ein Wachmann: Sören Feldmann (Dominique Horwitz, Die fette Hoppe), der damals als vermeintlicher Mörder untergetaucht war, kehrt zurück nach Bremen und wird von einem SEK verhaftet. Lürsen wird wegen ihrer Verstrickungen von Staatsanwalt Karl-Heinz Worms (Peter Sattmann, Roomservice) suspendiert und versucht, ihre Unschuld zu beweisen. Dazu nimmt sie Kontakt zu ihren ehemaligen Mitstreitern auf (s. Bild), die inzwischen alle ein Leben führen, das sich weit von den Idealen und Zielen der bewegten 1970er Jahre entfernt hat. So auch das von Rechtsanwalt Lothar Köster (Burghart Klaußner, Aus der Traum), der ein ernüchterndes Fazit zieht:


KÖSTER:

Hat uns alle verändert. Guck dich doch um: Inga ist zu den Bullen gegangen, du selbst gibst eine Zeitung raus, die sich unglaublich liberal gibt. Armin spielt den Heiligen und verschickt Care-Pakete in die Dritte Welt. Ich verteidige irgendwelche reichen Arschlöcher. Berger stimmt im Parlament für alles, was wir früher verurteilt haben. Von Walter will ich gar nicht reden.


Eine handverlesene Auswahl von Akteuren bietet Radio Bremen auf, die in erkennbar guter Spiellaune ihre gemeinsame Vergangenheit Revue passieren lassen: Neben Rechtsanwalt Köster schwelgen auch Buchhändler Armin Wulf (Dieter Pfaff, Zabou), Verlegerin Renate Lahn (Angela Roy, Nachtsicht), Taxifahrer Walter Miske (Paul Faßnacht, Willkommen in Köln) und der Bundestagsabgeordnete Georg Berger (Karl Kranzkowski, Hexentanz) mit Lürsen in Erinnerungen, so dass selbst eine Szene, in der alle zusammen einen Joint teilen, nicht aufgesetzt wirkt. 

Thorsten Näter zeichnet im stimmigen, straffen Plot ein präzises Bild von gealterten Idealisten, die einen Platz in der Gesellschaft gefunden haben, den sie eigentlich gerade nicht angestrebt hatten. Den Alleingängen seiner Chefin geschuldet, bleibt ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) unsicher. Respektlos behandelt, persönlich und dienstlich ignoriert, zweifelt er an Lürsens ehemaligen Freunden und ist sich – auch was seine Vorgesetzte betrifft – nicht ganz sicher. Spannend, wie er dem drohenden Loyalitätskonflikt zu entkommen vermag. Mit seinem Verhalten bleibt er die einzige völlig makellos sympathische Figur der Handlung. 
15 Jahre nach dem Bremer Beitrag wird Filmemacher Dominik Graf im Stuttgarter Tatort Der rote Schatten den RAF-Terrorismus erneut zum Thema machen – im Gegensatz zum kontrovers diskutierten Film von 2017 verliert sich Schatten allerdings nicht in Verschwörungstheorien, sondern schafft es, die Entwicklungen und Dramen der handelnden Akteure (und auch des Täters) aufzuzeigen und Verständnis dafür zu entwickeln. 
Insofern ist es nur folgerichtig, dass die 506. Tatort-Folge später eine Nominierung für den Adolf-Grimme-Preis erhielt und bis heute zu den am meisten geschätzten Lürsen-Fällen zählt.

Bewertung: 9/10

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