Folge: 542 | 12. Oktober 2003 | Sender: BR | Regie: Klaus Emmerich
Bild: Bavaria Film GmbH/BR/klick/Erika Hauri |
So war der Tatort:
Wie ein neunzigminütiger Mädelsabend: feuchtfröhlich, sehr albern und ohne den ganz großen Tiefgang.
Doch der 35. Fall der Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ist auch eine satirisch angehauchte Hommage an Agatha-Christie-Romane und Krimiklassiker wie François Ozons 8 Frauen, der ein Jahr zuvor im Kino lief – und zugleich eine der weiblichsten Tatort-Folgen aller Zeiten.
Denn während die Münchner Hauptkommissare, die wie gewohnt von Kriminaloberkommissar Carlo Menzinger (Michael Fitz) unterstützt werden, zwar dem vermeintlich starken Geschlecht angehören und mit Regisseur Klaus Emmerich (Aida) und Drehbuchautor Peter Probst (Der Traum von der Au) zwei männliche Filmemacher am Ruder sitzen, liest sich die Besetzung auffallend feminin: Der Bayerische Rundfunk hat sämtliche Nebenfiguren und Tatverdächtigen in diesem Tatort ausschließlich mit Frauen besetzt. Die kommen einleitend zusammen und eine kommt dabei ums Leben. Wenn Frauen Austern essen.
Die Frauen eint aber nicht nur ihr Geschlecht, sondern auch ihr Metier: Die einflussreiche Literatur-Agentin Ira Kusmansky (Doris Schade, Das Glockenbachgeheimnis) hat ein halbes Dutzend Schriftstellerinnen zum festlichen Dinner versammelt und stellt ihnen einen lukrativen Millionenauftrag in Aussicht.
Die erfolgreiche Krimi-Expertin Roswitha Reimers (Elisabeth Rath), die selbstbewusste Heile-Welt-Autorin Ingrid Sanzara (Gilla Cremer, Mietsache), die erfahrene Lektorin Barbara Gerhard (Margit Rogall), die frustrierte Science-Fiction-Schreiberin Laura Lord (Sandra Borgmann, Fette Krieger), die provokante Sex-And-Crime-Autorin Hermine Horkens (Antje Widdra, Nie wieder frei sein) und die extrovertierte Kitsch-Verfasserin Stefanie Kracht (Schirin Sanaiha) erscheinen ebenso zum Dinner wie die gefragte Talkshow-Moderatorin Susanne Trier (Ilse Biberti, Haie vor Helgoland) und die schüchterne Frauenrechtlerin Anna Stahlberg-Zeulig (Barbara Melzl).
Letztere wird vergiftet und teilt damit womöglich das Schicksal einer fiktiven Romanfigur aus Reimers‘ Feder. Hat die Täterin die Tat angekündigt?
LEITMAYR:Ein weiblicher Serienkiller, der seine Morde vorher veröffentlicht? Das klingt a bissl arg nach Agatha Christie, oder?
BATIC:Heutzutage musst du originell sein, sonst fällst du nicht mal mehr als Serienkiller auf.
Die anstrengenden Anfangsminuten stellen die Geduld des Publikums bereits auf die Probe, denn sie sind so überladen wie die üppige Austernplatte auf dem Esstisch – eine echte Einleitung gibt es in diesem Krimi nicht und die Figuren werden nicht etwa vor der turbulenten Zusammenkunft eingeführt, sondern erst im weiteren Verlauf des Films. So ist der Zuschauer gleich mittendrin statt nur dabei: Am Tisch wird minutenlang drauf los geplappert, munter über Männer gelästert und fleißig gegen Konkurrentinnen gestichelt.
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt offenbart die 542. Tatort-Folge ein ärgerliches Dilemma: Sämtliche Debatten – sei es nun die über Feminismus, die über Sexismus oder die über Rassismus – lassen die Substanz vermissen und müssen für laue Ironie oder bemühte Libido-Sprüche herhalten. Das wird keinem der Themen gerecht und gipfelt sogar in der Verharmlosung von sexueller Gewalt gegen Männer: Eine der Damen kneift Carlo Menzinger in den Po – und der erntet dafür nicht etwa Beistand, sondern Häme und Spott von seinen Kollegen. Man stelle sich vor, das wäre einer Tatort-Kommissarin passiert.
Solche Szenen sind schon 2003 nicht zeitgemäß, aber auch sehr schlecht gealtert – und so überzeugt Wenn Frauen Austern essen unterm Strich eher als solider Whodunit denn als Auseinandersetzung mit der Gefühlswelt klammer Schriftstellerinnen und den Facetten der Frauenliteratur (sofern es die überhaupt gibt). Batic und Leitmayr nehmen den Zuschauer an die Hand, stellen sich den quirlig-überdrehten, psychisch labilen oder eiskalt berechnenden Frauen mit ihrer Souveränität entgegen und knöpfen sich eine nach der anderen vor – egal ob auf der Judomatte, im Bordell oder beim Kindergeburtstag.
Die Spannungsmomente sind dabei aber relativ rar gesät und auch dramaturgisch bleibt der Krimi konventionell: Nach einer Dreiviertelstunde finden die Kommissare die obligatorische zweite Tatort-Leiche, eine dritte gilt es zu verhindern. Puzzlestück für Puzzlestück setzen sie zusammen, wühlen sich nach Feierabend durch kitschige Romane und versammeln zum großen Finale alle tatverdächtigen Frauen (und damit den tollen Cast) ein weiteres Mal am Esstisch.
Agatha Christie wäre stolz auf die beiden gewesen.
HORKENS (ZU LEITMAYR):Was soll denn das hier werden? Hercule Poirot für Arme?
KRACHT (IN DIE RUNDE):Dann wäre der andere Miss Marple, oder?
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