Bild: BR/Hagen Keller

Nie wieder frei sein

Folge 784

19. Dezember 2010

Sender: BR

Regie: Christian Zübert

Drehbuch: Dinah Marte Golch

So war der Tatort:

Beklemmend.

Ein Lieferwagen fährt durch die verregnete Nacht, nimmt einen abgelegenen Feldweg, hält. Der Fahrer Markus Rapp (Shenja Lacher, Im Schmerz geboren) zerrt die Leiche der jungen Melanie Bauer (Anna Maria Sturm) hinaus. Mit dem Messer entfernt er die Kleider des Opfers, reinigt die Leiche von seinen Spuren. Dann braust er davon. Die Kamera steigt über der Leiche in die Luft: War das nicht eine Regung, an den Füssen der Leiche, ein Zucken? Tatsächlich: Die Tote lebt.

Schnitt.

Die Münchner Hauptkommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) sitzen vor Gericht. Es geht um die Verurteilung des Vergewaltigers der jungen Frau. Batic und Leitmayr haben ihn anhand von Beweisen überführt, die sie ohne richterliche Befugnis gesammelt haben. Zu ihrem Entsetzen fällt die Beweiskette in sich zusammen: Der Täter wird freigesprochen. Seine Pflichtverteidigerin Regina Zimmer (Lisa Wagner, später ein paar Jahre lange als Fallanalytikerin Christine Lerch in München mit von der Partie) ist ebenso jung wie unsympathisch, tut jedoch nur ihre Pflicht, pocht auf die Rechte ihres Mandanten.

Nachdem der Täter frei ist, bricht Chaos aus. Die Kommissare geraten unter Rechtfertigungszwang. Die Angehörigen des Opfers sehen rot und der Vater des Täters (Tilo Prückner, Und tschüss) wird vom Mob belästigt. Das Opfer kommt nicht zur Ruhe, denn eines nachts steht plötzlich der Täter vor ihrer Verandatür. Bald darauf ist sie verschwunden, ihre Wohnung verwüstet. Kein Zweifel: Der Freigelassene war es.

Die Verzweiflung der in die Enge getriebenen Münchener Kommissare ist bedrückend. Wie Batic und Leitmayr sich bemühen, ihren Ermittlungsübergriff wiedergutzumachen, gehört zum Besten, was es in Sachen Tatort je gegeben hat. Denn die Zeit drängt: Schon wird die Pflichtverteidigerin verprügelt, und dann liegt auch noch der Täter tot im Park.

Mit der Anlage „Kommissare kämpfen gegen die Auswirkungen ihrer illegalen Ermittlungsmethoden“ wird ein schnörkelloser, simpler Fall eindringlich und schockierend umgesetzt; Drehbuchautorin Dinah Marte Golch (Edel sei der Mensch und Gesund) baut allenfalls die eine oder andere Szene mit dem Vater des Täters zu viel ein.

Zu Recht wird der 784. Tatort, den Tatort-Debütant Christian Zübert brillant inszeniert, 2011 mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet. Nie wieder frei sein ist ein TV-Meisterwerk in jeder Hinsicht: Tatort-Folgen, die gesellschaftlich virulente, brisante Diskurse angehen, werden sich noch lange an diesem Meilenstein messen lassen müssen.

Bewertung: 10/10


Kommentare

2 Antworten zu „Nie wieder frei sein“

  1. Ein absolut preiswürdiger Beitrag! Hier wird ergründet, wie es den Opfern geht, aber auch, welche Ungerechtigkeiten gegen die Täter sie aufgrund ihres Schmerzes verüben. Das Gegenteil langweiliger Schwarz-Weiß-Malerei.
    Vor allem aber wird gezeigt, dass Rechtsanwälte nicht böse sind, sondern in erster Linie ihre Arbeit machen. An dieser Stelle ein großes Lob an Lisa Wagner, die durchgehend überzeugt.
    Aufgrund der Vielschichtigkeit ein absolutes Muss: 10/10.

  2. Avatar von Unknown

    Verdiente 10 Punkte. Münchner Tatort ist einer der Besten momentan!

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