Bild: Das Erste

Sonne und Sturm

Folge: 545 | 2. November 2003 | Sender: NDR | Regie: Thomas Jauch

Bild: NDR/Marion von der Mehden

So war der Tatort:

Ostfriesisch.

Ihr dritter Tatort-Einsatz führt die niedersächsische LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) nämlich direkt an die Nordsee – genauer gesagt nach Nordersiel, ein ebenso gemütliches wie fiktives Fischerdörfchen, das in der Realität unter dem Namen Greetsiel auf der Landkarte zu finden ist und jährlich Tausende von Touristen an den malerischen Hafen und in die vielen kleinen Fischrestaurants an der Küste lockt

Warum der NDR das Örtchen für Sonne und Sturm umtauft, erschließt sich nicht wirklich – schließlich schwanken im 545. Tatort unübersehbar vor Anker liegende Fischkutter mit der leuchtenden Aufschrift GREETSIEL durchs Bild, die die Umbenennung früh ad absurdum führen. Immerhin: Die Skizzierung des von Tuscheln und Tourismus geprägten Dorfmilieus gelingt Drehbuchautor Fred Breinersdorfer (Ein neues Leben) deutlich authentischer als seinen Autorenkollegen in den wenig glaubwürdigen Lindholm-Vorgängern Lastrumer Mischung und Hexentanz

Das herrlich norddeutsche Lokalkolorit ist ein weiterer Pluspunkt: Dem Nordsieler Kneipenwirt, bei dem die blonde Hauptkommissarin abends ihr kühles Blondes ordert, sind sogar zwei Dialogzeilen in unfallfreiem Platt vergönnt, und einen kurzen Abstecher zum berühmten rot-gelben Pilsumer Leuchtturm gönnt der NDR dem Publikum auch. 

Alle wichtigen Nebenfiguren schnacken hingegen Hochdeutsch aus dem Bilderbuch – das ist ein wenig schade, denn insbesondere Touribootskapitän Roland Jellinek (Jochen Nickel, Der Teufel) und seiner unglücklich verheirateten Gattin Nynke (Eva Kryll, Erfroren) hätte ein ostfriesischer Zungenschlag bestens zu Gesicht gestanden.
 

Die malerischen Fischerdorfkulissen und die plattdeutschen Einschläge sind aber leider auch schon die einzigen Stärken des von Thomas Jauch (Mein Revier) inszenierten dritten Lindholm-Tatorts, bei dem sich einfach keine Spannung einstellen will. 

Warum Jellineks tödlich vergifteter Geschäftspartner Wolfgang Surdrup (Rainer Piwek, Todesschütze) lange Qualen leidet und erst nach einer gefühlten Ewigkeit das Zeitliche segnet, leuchtet nicht ein: Hier wäre eine klassische Auftaktleiche eindeutig die bessere Wahl gewesen, weil sie dem Zuschauer einige nervtötende Hustenanfälle und eine furchtbar kitschige Zeitlupenszene auf dem Krankenhausflur erspart hätte. 
Größte Schwäche des Tatorts sind aber die gekünstelten, furchtbar aufgesetzten Dialoge, bei denen Lindholm, Martin Felser (Ingo Naujoks) & Co. oft wirken, als wären sie unfreiwillige Hauptdarsteller auf den Theaterbrettern einer Gesamtschule: Emotionsfreie Floskelgefechte, überflüssige Zwischenfazits und abgegriffene Krimiphrasen – exemplarisch dafür sei der letzte Dialog zwischen Lindholm und dem tatverdächtigen Christian Praetorius (Harald Schrott, Vergeltung) genannt – reihen sich in unerträglicher Penetranz aneinander und machen Sonne und Sturm vor allem im letzten Filmdrittel zur reinen Tortur. 
Damit ist der Tatort, in dem Felsers zarte Annäherungsversuche an seine Mitbewohnerin erneut in die Hose gehen, beim Blick auf die Gesamtreihe einer der schwächsten Beiträge aus Niedersachsen – und nach der soliden Lastrumer Mischung und dem durchwachsenen Hexentanz der erste echte Fehlschlag.


Bewertung: 3/10


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert