Bild: WDR/Jürgen Thiele

Eine Leiche zu viel

Folge 582

5. Dezember 2004

Sender: WDR

Regie: Kaspar Heidelbach

Drehbuch: Dorothee Schön, Georg Schott

So war der Tatort:

Klemmfrei – und damit praktisch rauchfrei.

Der sechste Einsatz von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) wartet nämlich mit einem Novum auf: Zum einzigen Mal in den ersten 23 Jahren der Erfolgsgeschichte der Tatort-Folgen aus Münster ist Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) hier nämlich nicht mit von der Partie. Die kettenrauchende Juristin, die bis 2025 fest zum Figurenensemble zählt und dann abdankt (weitere Informationen), fehlt in dieser Episode. Doch führt das automatisch dazu, dass im Präsidium – zumindest wörtlich gesehen – weniger dicke Luft herrscht und die Ermittler klarer sehen?

Nicht ganz, zumindest was letzteres angeht: Schon zu Beginn ist die Verwirrung groß, als sich im Anatomischen Institut der Universität Münster unter den Körperspenden Eine Leiche zu viel findet, die zudem eine Einstichstelle aufweist. Auch der herbeigerufene Boerne kann sich nicht erinnern, die Tote auf seinem Tisch gehabt zu haben. Es stellt sich heraus, dass es sich bei der fachmännisch präparierten Leiche um die französische Chemikerin Dr. Amélie Blanc (Susanne Berckhemer, Gebrochene Herzen) handelt. Sie hospitierte in der Forschungsgruppe von Professor Gregor Härtling (Jürgen Hentsch, Mördergrube) und ward nach einer Feier, auf der – typisch Münster – zufälligerweise auch Boerne anwesend war, nicht mehr gesehen.

Eine Ausgangslage, wie sie sehr klassisch für die Krimikomödien aus Westfalen ist. Und auch sonst bauen die Filmemacher um Regisseur Kaspar Heidelbach (Erkläre Chimäre) auf Bewährtes. Schnell stellt sich heraus, dass Täter oder Täterin in der Forschungsgruppe zu suchen ist, deren Mitglieder kein Klischee auslassen: Allen voran die eingebildete und aufstrebende Dr. Carla Hanke (Nele Mueller-Stöfen, Wer das Schweigen bricht), die für ihre Arbeit mit einem wichtigen Preis ausgezeichnet werden soll, gefolgt vom rückgratlosen Opportunisten Dr. Kehl (Lars Gärtner, Rückspiel) und dem von Neid zerfressenen Möchtegern-Frauenhelden Dr. Schroth (Stefan Gebelhoff, Dicker als Wasser).

Beste Gesellschaft also für den stets etwas zu sehr von sich eingenommenen Boerne, der sich parallel auch noch um seine Mutter Erika (Carola Regnier, Aida) kümmern muss. Es überrascht nicht, dass Mama Boerne bestens mit der Familie Härtling bekannt ist und auch ihre Finger mit im Spiel hat. Ihre Anwesenheit bietet Thiel die Vorlage für einen süffisanten Seitenhieb.


THIEL:
Ich wusste ja gar nicht, dass Sie eine Mutter haben.

BOERNE:
Und was für eine.

THIEL:
Hätte schwören können, Sie sind im Reagenzglas entstanden.

Dialoge wie dieser zeichnen den Tatort aus Münster seit jeher aus, in Eine Leiche zu viel zünden sie aber eher selten. Das gilt auch für Boernes Spitzen in Bezug auf seine Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch), die sich diesmal in einem erträglichen Rahmen bewegen („Jetzt machen Sie mal nicht so viel Wind mit ihrem kurzen Hemd.“).

Das ganz große Gag-Feuerwerk bleibt aus, und das hängt auch mit Drehbuchautorin Dorothee Schön (Mann über Bord) zusammen. Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Handlung deckten sich nicht mit denen der Redaktion des WDR. Schön missfiel die komödiantische Ausrichtung, was dazu führte, dass sie die Zusammenarbeit mit der Sendeanstalt beendete. Erst 13 Jahre später steuerte sie mit Mord ist die beste Medizin wieder ein (ironischerweise deutlich alberneres) Drehbuch für den Münster-Tatort bei. 

Der fehlende Konsens in Bezug auf die Tonalität überträgt sich auch auf den Film und zieht sich durch die 90 Minuten wie sonst der Qualm der Klemmschen Glimmstängel. Halbherzige Witze stehen bemüht ernsten Passagen gegenüber, denen es aber an Glaubwürdigkeit mangelt. Exemplarisch dafür steht die Figur von Amélies trauerndem Ehemann Thierry Blanc (Sylvan-Pierre Leirich, Schüsse auf der Autobahn), der als verzweifelter Rächer durch Münster geistert und auf eigene Faust ermittelt. Sein Auftritt und die auf Französisch vorgebrachten Anschuldigungen wirken eher unfreiwillig komisch, geben aber immerhin Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) ihre Daseinsberechtigung.

Auch Herbert „Vaddern“ Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) ist wenig Kamerazeit vergönnt: Er darf nur kurz mit seinem Taxi vorfahren und die Knöchelverletzung seines Sohnes kommentieren (deren Ursprung bis in die Schlussminuten offen bleibt). Doch ähnlich wie knapp vier Jahre später in Krumme Hunde (Stichwort: Mütze) ist die Auflösung der Geheimniskrämerei bereits im 582. Tatort enttäuschend. Diesem zweifelhaften Prädikat entzieht sich der Film aber zumindest in seiner Gesamtheit, da die Tätersuche bis in die Schlussminuten offen bleibt und der spannend inszenierte Showdown mit einer rührenden Sequenz zwischen Boerne und Alberich für so manche Länge entschädigt.

Bewertung: 5/10


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert