Bild: rbb/Julia Terjung

Dornröschens Rache

Folge 660

25. März 2007

Sender: RBB

Regie: Christine Hartmann

Drehbuch: Frauke Hunfeld

So war der Tatort:

Märchenmotivisch.

Denn es war einmal, vor langer, langer Zeit… und damit ist nicht nur der letzte Friseurbesuch von Hauptkommissar Felix Stark (Boris Aljinovic) gemeint, der beim 10. Einsatz an der Seite seines Kollegen Till Ritter (Dominic Raacke) eine bemerkenswert lange Matte auf dem Haupt trägt. Die Ermittler aus der Hauptstadt stoßen diesmal auf einen ungeklärten Mordfall aus dem Jahr 1986 und reisen dafür in die Vergangenheit – und das mehr als nur im übertragenen Sinne.

Dornröschens Rache ist nicht die einzige Tatort-Folge, der bereits im Titel auf die erfundenen, häufig für Kinder gedachten Geschichten referiert, in denen es oft wundersam und fantastisch zugeht – man denke beispielsweise an die starke Münchner Folge Ein mörderisches Märchen von 2001 oder die buchstäblich haarige Episode Rapunzel aus Zürich, die 2025 das Coiffeur-Milieu genauer beleuchtet. Auch die vielversprechend startende 660. Tatort-Folge wirkt phasenweise wie ein modernes Märchen, das zahlreiche Anspielungen auf die Texte der Brüder Grimm enthält.

Nach einem düster-melancholisch arrangierten Auftakt wird der zurückgezogen lebende Witwer Richard Merten (Hans Diehl, Müll) von einem Unbekannten in seiner Berliner Wohnung erschossen. So richtig schlau werden die Kommissare aus der Besichtigung des Tatorts allerdings nicht: Merten hatte seinen Tod offenbar vorausgeahnt und nicht nur seine Wohnung gekündigt, sondern auch sorgfältig präpariert. Auch Mertens‘ Tochter Paula (Anna Thalbach, Stirb und werde), die in der Folge zur zentralen Figur der Ermittlungen wird, gibt sich distanziert-verschlossen.

Das tun auch die Bewohner des fiktiven brandenburgischen Dorfes Wieditz, das im Drehbuch von Frauke Hunfeld (Siebenschläfer) zu einem Fixpunkt der Geschichte wird: In dem verschlafenen Nest kam einst auch Richard Mertens‘ Frau Emma gewaltsam zu Tode. Der Täter wurde aber nie gefasst und die Zeit scheint seitdem im Dorf stehen geblieben zu sein. Sinnbildlich dafür steht Paulas Elternhaus, ein verlassenes und zugewachsenes Dornröschenschloss, in das sie nun zurückkehrt und damit für reichlich Unruhe sorgt.


RITTER:
Das Haus, das ist ein Geisterhaus. Das ist wie im Märchen. Wo sogar die Stubenfliegen an der Wand eingeschlafen sind. Rapunzel.

STARK:
Dornröschen.

RITTER:
Genau. Und jetzt, zwanzig Jahre später, kommt alles wieder hoch. Sie hat mir vom Tod ihrer Mutter erzählt.

STARK:
Ja. Und wer war’s damals? Die böse Fee?.

Als sich die Handlung endgültig in die brandenburgische Provinz verlagert und Ritter und Stark dort beim mürrischen Gastwirt (Hendrik Arnst, Alle meine Jungs) Quartier beziehen, erinnert das stark an frühere Lindholm-Tatorte, passenderweise etwa Märchenwald oder Hexentanz, die von 2002 an in verschiedenen Dörfern und Kleinstädten Niedersachsens spielen, wo jeder jeden kennt und man gerne unter sich bleibt. Regisseurin Christine Hartmann (Geisterfahrt) verzichtet hier aber erfreulicherweise auf störende Nebengeräusche. Selbst Großstadt-Cowboy Ritter, der mit der Dörflichkeit fremdelt, versucht ganz ohne Hintergedanken und Machoallüren das Vertrauen der kühlen Paula Merten zu gewinnen.

Hartmann begeht zwar nicht den Fehler, die ostdeutschen Dörfler als engstirnige Hinterwäldler zu inszenieren, frei von Stereotypen sind die Figuren dennoch nicht: Der einfältige und von der Stütze lebende Willi (Matti Wien) kommt dem Dorftrottel sehr nah und auch der misanthropische Arnold Kraschewski (Hans-Uwe Bauer, Unter Gärtnern) wirkt als Relikt vergangener DDR-Tage mit Wartburg in der Garage wie aus der Zeit gefallen. Man öffnet lieber nur einen Fensterspalt, statt die Haustür, und den Mund schon gar nicht. Erst wenn der aufstrebende Klaus Merten (Steffen Münster, Hitchcock und Frau Wernicke) mit seinen Plänen für ein Golfhotel und der Aussicht auf wirtschaftlichen Aufschwung um die Ecke kommt, wird man redselig und schwärzt den Anderen an, wie etwa der Großbauer Walter Millmann (Günter Schubert, Unter Brüdern). 

Stattdessen zieht sich die Märchen-Metapher wohldosiert durch den gesamten Film. Wir sehen die achtjährige Paula Merten (Alina Bohrisch) als unschuldiges Rotkäppchen durch den Ort radeln und auch die Geschichte spielt gekonnt mit der Symbolik: So will der gutherzige, vom Leben enttäuschte Thomas Raven (Joram Voelklein, Schwarzer Peter), der sich seit Jahren um seine pflegebedürftige Schwester Sabine (Nikola Niemann) kümmert, als trauriger Märchenprinz die um ihre Kindheit und Jugend gebrachte Paula wachküssen.

Die bedrückenden Schicksale der Figuren und die allgemeine Tristesse werden durch kühle Bilder unterstrichen; das Märchen vom „Aufschwung Ost“ wird sich in Wieditz noch immer erzählt. Enttäuschung und Wehmut transportiert auch der großartige Klangteppich, der den unaufgeregten Erzählton passend ergänzt. Das ist selten wirklich spannend, aber unterhaltsam. Dornröschens Rache punktet zudem als klassischer Whodunit, bei dem die Täterfrage bis zum Schluss offen bleibt. Die Auflösung ist zwar keine Überraschung und am Ende sind in Wieditz auch nicht alle glücklich und zufrieden. Das wäre aber auch zu schön, um wahr zu sein.

Bewertung: 6/10


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