Folge: 671 | 26. August 2007 | Sender: Radio Bremen | Regie: Mark Schlichter
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg |
So war der Tatort:
Auf die eine oder andere Art und Weise strahlend.
Klappe für Bremen, grau und dystopisch mit viel blauem Filter – und dann werden wir Zeuge von etwas, das man euphemistisch erweiterten Suizid nennt: Nach einer Amokfahrt ein Sprung vom Justizgebäude auf den harten Bremer Asphalt. Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) kann nur machtlos zusehen, wie sich eine offenbar psychisch gestörte Frau (Inka Friedrich, Altlasten) zu einer Verzweiflungstat hinreißen lässt. Ein hagerer Mann (Peter Benedict, Nasse Sachen) kommentiert lapidar: „Sandra Vegener ist tot, es ist vorbei.“
Im kühl inszenierten Hochglanz-Tower, der Firmenzentrale von TelMo, überlegt Frederike Kawentz (Ann-Kathrin Kramer) unterdessen mit ihrer Belegschaft, die „Antennen“ passend zu verkleiden. Die Tote prangerte als Aktivistin die Gefahr von Handystrahlen an. Verschwörung? Der Wahn im Film, ein beliebtes Mittel um Spannung zu erzeugen und Zuschauer auf die falsche Fährte zu führen.
Trotzdem macht sich bei Lürsen ein ungutes Gefühl breit, auch angesichts der Tatsache, dass Vegener schwanger war. Kurz vor ihrem Tod erhielt sie die Nachricht, dass ihr Kind geschädigt sei. Durch Strahlung? Daniel, der Sohn der Toten (Constantin von Jascheroff, Der Lippenstiftmörder), gerät außer Rand und Band, und so haben Lürsen und ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) fortan die Aufgabe, die zweifelhaften Vorstände und Gutachter, die der Verstorbenen Verrücktheit attestierten, vor dem rachedurstigen 17-Jährigen zu schützen.
Selbst Ehemann Luis Vegener (Peter Davor, Berliner Bärchen) hat sich offensichtlich kaufen lassen und sich von der Mutter seines Sohnes abgewandt. Stedefreund, noch grün hinter den Ohren, lässt sich von seinem Buddy Swen (Josef Heynert, Salzleiche) aus der Rüstungsindustrie ebenfalls einlullen: Der witzelt unsicher über Mikrowellen-Terror, lässt sich das Fertiggericht schmecken und schwärmt den Ermittlern von der titelgebenden Strahlenden Zukunft mit Non-lethal Weapons vor.
Schöne neue Welt, aber Lürsen behält den Durchblick, legt immer wieder den Finger in die Wunde und hat noch den einen oder anderen guten Konter auf den Lippen. Ohnehin sind die Dialoge Sternstunden des 671. Tatorts.
SWEN:
Endlich mal ’ne Waffe, die Leben rettet!LÜRSEN:
Unglaublich, sowas müssten wir als Handwaffe haben! Gute Arbeit, da winkt ja der Friedensnobelpreis!
Der Filius wirbelt die Allianz der Waffenforscher und Handyvertreiber ordentlich durcheinander: Nach exakt einer Stunde servieren die Filmemacher die zweite Leiche. Von da an beginnt das Spiel mit der Angst.
Das Unbehagen mit der digitalen Umgebung macht sich durch das Aufbegehren des Jungen jetzt auch unter den Entscheidungsträgern breit. In den steril getünchten Chefetagen werden die Gesten in den gestärkten Hemden hektischer und die Halsader schwillt unter der Krawatte. Klassische Motive, klassische Architektur eines Sonntagskrimis, mit der gewohnten öffentlich-rechtlichen Prise Gesellschaftsrelevanz.
Interessant zu beobachten ist die effektvoll dargestellte Abschottung hinter den Fassaden: Diese kühle Unterwanderung mit Angst, die sich peu à peu in den oberen Stockwerken breit macht, wirkt auch auf die Zuschauer: Doch lieber nachts das Handy ausstecken oder die Mikrowelle aus dem Fenster werfen? Schön ist auch, dass Bremen gar nicht erst versucht, einen Lokalpatriotismus zu bedienen. Lürsens Gedankengänge steuern glaubhaft die Sympathiekurve des Publikums und rücken den Selbstmord und die Zweifel, die die Tote säte, ins Zentrum des Erlebens.
Regisseur Mark Schlichter (Altes Eisen) inszeniert einen handwerklich gut gemachten Tatort mit zu allem entschlossenen Frauenfiguren – da hätte es den richtig schön unvernünftigen Sohn gar nicht mehr gebraucht. Das Buch von Tatort-Routinier Christian Jeltsch (Außer Gefecht) ist solide; der Krimi verfängt sich nicht in einer witzelnden Polemik über Aluhutträger vs. Big Business.
Zum Lachen ist hier wenig, und das ist auch gut so. Jeltsch setzt auf psychologische Kriegsführung, reduziert die Handlung auf das unmittelbare Beklommenheitsgefühl bei diesem Thema, vielleicht gerade deshalb passend für einen Bremer Hybrid aus Howcatchem und Whodunit, in dem sich fast mehr darum dreht, ob die Tote doch noch zu rehabilitieren ist, als um die Enttarnung des Mörders der zweiten Leiche.
Extrapunkte in der B-Note gibt es für das interessante Licht (Benjamin Dreythaller) und die Kamera (The Chau Ngo, beide arbeiteten bereits bei Scheherazade zusammen), die die Architektur auf den Punkt in Szene setzen und zu einem Stilmittel in Strahlende Zukunft aufwerten. Stellt sich nur die Frage, ob man auf die Mörderjagd nicht hätte verzichten können.
Bewertung: 7/10
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