Folge 766
6. Juni 2010
Sender: MDR
Regie: Johannes Grieser
Drehbuch: Heike Rübbert
So war der Tatort:
Gehetzt.
Und das gilt nicht nur für die Leipziger Hauptkommissare Eva Saalfeld (Simone Thomalla) und Andreas Keppler (Martin Wuttke), die in ihrem achten Fall ständig unter Zeitdruck stehen, permanent in Bewegung sind und sowohl Kriminaltechniker Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) als auch Rechtsmediziner Dr. Johannes Reichau (Kai Schumann) ordentlich auf Trab halten. Auch die übrigen Figuren des reichlich sozialkritischen Krimis, der thematisch ähnlich gelagert ist wie die ein Jahr später erstmalig ausgestrahlte Münchner Folge Gestern war kein Tag, wirken allesamt getrieben und gestresst.
Genau genommen ist das auch nicht verwunderlich – widmet sich der 766. Tatort doch der Frage, was es bedeutet, zu Hause einen pflegebedürftigen Angehörigen zu betreuen und diese Aufgabe mit dem (beruflichen) Alltag einer Familie zu vereinbaren. Ausgangspunkt dafür ist der Tod der Pflegedienstmitarbeiterin Anna Kowski (Anne Werner, Wir kriegen euch alle), die ermordet in der Waschküche ihres Wohnhauses liegt.
Saalfeld und Keppler sind unmittelbare Zeugen, wenn die Filmemacher um Regisseur Johannes Grieser (Scherbenhaufen) der Beantwortung der eingangs erwähnten Frage am Beispiel der Familie Holst nachgehen: In den vergangenen Monaten hat die Tote hier den demenzkranken Karl Holst (in seiner letzten Fernsehrolle: Joachim Tomaschewsky) gepflegt. Ihr Fehlen wird nun direkt sichtbar: Sohn Hannes (Karl Kranzkowski, Mörderspiele) hat keine Zeit für seinen Vater, weil er sich um seinen Kfz-Betrieb kümmern muss. Seine Frau Marie (Johanna Gastdorf, in Gestern war kein Tag ebenfalls in der Rolle der pflegenden Schwiegertochter zu sehen[!]) wird bei der Inventur gebraucht. So muss Enkeltochter Svenja (Nina Gummich, Das erste Opfer) nach ihrem Opa schauen und zugleich den Traum vom Schüleraustausch in Amerika begraben, für den aufgrund der hohen Pflegekosten das Geld fehlt.
So eindringlich sich das Treiben im Hause Holst auch gestaltet: Drehbuchautorin Heike Rübbert trägt bei der Figurenzeichnung der Familie sehr dick auf und stolpert in einige Klischeefallen. Etwas mehr Differenzierung und weniger erhobener Zeigefinger hätte hier gut getan. Diese Balance gelingt aber nur selten – etwa wenn Hannes Holst gegenüber seinem herrischen und gleichzeitig hilflosen Vater die Fassung verliert. Diese Szenen zählen zu den ergreifendsten, weil authentischsten Momenten. Davon hätte man sich mehr gewünscht.
Zumal auch die restlichen Figuren holzschnittartig bleiben: Das gilt nicht nur für den Bestatter Daniel Bergmann (Stefan Konarske, von 2012 bis 2017 als Oberkommissar Daniel Kossik im Dortmunder Tatort zu sehen), der als eifersüchtiger Ex-Freund der Toten mit auffällig dünnem Nervenkostüm ebenso verdächtig ist wie der windige und lediglich Niedriglohn zahlende Chef des Pflegedienstes Mike Breuker (Dirk Borchardt, KI). Letzterer bringt gegenüber Saalfeld und Keppler das bekannte Dilemma der Pflegedienstbranche, die im Film nicht gut wegkommt, treffend auf den Punkt.
Zu viele Patienten bei viel zu wenig Zeit: Ein Zustand, den die Beschäftigten im Pflegesektor seit Jahrzehnten anprangern, den der Film aber nicht weit genug vertieft. Stattdessen spiegelt sich die Problematik – im Tatort ein häufig bemühtes Muster – auch noch im Privatleben der Ermittler wider: Saalfelds Mutter Inge (Swetlana Schönfeld) ist mit einem Bandscheibenvorfall gestürzt und Tochter Eva erfährt am eigenen Leib, was es bedeutet, wenn einen die Sorge um eine Angehörige auf Schritt und Tritt begleitet.
Ihr grantiger Kollege Keppler ist ihr dabei keine große Unterstützung. Zwar stimmen ihn die Begegnungen mit dem verwirrten Karl Holst sichtlich nachdenklich, sein eigener „Plan“ für das Alter passt dann aber wieder zur bedrückenden Grundstimmung des Films. Denn auch beim melodramatischen Schlussakkord drücken die Filmemacher ordentlich auf die Tränendrüse. Das ist dann des Guten zu viel und geht, wie in weiten Teilen des restlichen Films, zusätzlich auf Kosten der Spannung. So hallt Heimwärts trotz (oder vielleicht gerade wegen) der ergreifenden Performance des 2019 verstorbenen Joachim Tomaschewsky am Ende eher als anstrengendes Drama denn als Krimi nach – allerdings nicht sonderlich lange.
Bewertung: 4/10
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