Stephen Power

Jagdzeit

Folge: 797 | 10. April 2011 | Sender: BR | Regie: Peter Fratzscher

Bild: BR/Stephen Power
So war der Tatort:
Dialekterforschend.
Denn die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die bei ihrem 58. Fall von der Fahnderin Peschke (Antje Widdra, Nie wieder frei sein) unterstützt werden, frönen einer neuen Leidenschaft: Sie sind Stammhörer einer Radioshow, bei der bayrische Wörter nicht nur übersetzt, sondern auch die Region bestimmt werden muss, in der sie ihren Ursprung haben. Klarer Überraschungssieger nach Punkten: der nicht aus Bayern, sondern aus dem früheren Jugoslawien stammende Batic.
Eine nette Idee der Filmemacher – und durchaus förderlich, um Lokalkolorit in den Krimi bringen. Doch wenngleich das Ratespiel in der letzten Filmszene final aufgegriffen und augenzwinkernd abgerundet wird, steht es unterm Strich bei genauerer Betrachtung in keinem Zusammenhang zur Geschichte. Zwar gibt es mit der tatverdächtigen, stets tief dekolletierten Altöttingerin Leonie Zach (Angela Ascher, Mietsache), die einleitend den Tod ihres Gatten Gerd (Matthias Heidepriem) verkraften muss, eine Verdächtige mit ausgeprägtem Dialekt, ansonsten wird in Jagdzeit aber überwiegend auf Hochdeutsch geplaudert.
Dabei entführen uns Drehbuchautor Peter Probst (Der Traum von der Au) und Regisseur Peter Fratzscher (Der Finger) in zwei verschiedene Welten: in die der Hartz-IV-Empfänger und in die der Besserverdiener. Während die übergewichtige Schülerin Nessi (Laura Baade), um die sich als wichtigste Augenzeugin des Mordes alles dreht, bei ihrer alleinerziehenden Mutter Tini Bürger (Katja Bürkle, Hauch des Todes) in einem armen Stadtviertel wohnt, residieren die Zachs im teuren Bogenhausen und sind aktive Mitglieder einer elitären Jagdgesellschaft, die im Wald schon bald Besuch von den Kommissaren bekommt.

LEITMAYR:
Warst du schon mal auf ’ner Jagd?

BATIC:

Na klar. In Zagreb, im Hinterhof, haben wir immer Ratten gejagt.


Aus Jagdzeit hätte damit ein beklemmendes Krimidrama werden können, das den Finger in die Wunde der Großstadt legt, die soziale Ungleichheit filetiert und uns betroffen macht – dass der 797. Tatort dabei aber selten über gute Ansätze hinauskommt, hat mehrere Gründe.
Da ist zum einen die Hauptfigur: Die von ihren Klassenkameraden gehänselte Nessi ist eine allzu klassische Außenseiterin – Jungdarstellerin Laura Baade ist dabei schauspielerisch auch nicht immer auf der Höhe und ihre Figur doch arg überzeichnet. Gestraft mit einem quietschbunten Schulranzen, für den man schon in den 90er Jahren von seinen Mitschülern verspottet worden wäre, liegt das Augenmerk der Kripo auf ihr, aber echten Zugang zu dem Mädchen, zu seinen Wünschen und Sorgen finden wir selten. Unterm Strich soll man vor allem Mitleid mit ihr haben – was auch daran liegt, dass der Teenager zielsicher stets genau dahin geht, wo das nächste Problem auf ihn wartet.
Mit Blick auf die übrigen Jugendlichen wirkt die Figurenzeichnung kaum origineller: Die kriminellen Alex (Paul Schopf) und Jaro (Constantin Gastmann, Das Glockenbachgeheimnis) üben sich als Klischees auf zwei Beinen in Drohgebärden und hausen in einem düsteren Keller, in dem ein Bild so auffallend schief an der Wand hängt, dass man noch spüren kann, wie die Requisite es just dort platziert hat. Auch über die titelgebenden Teilnehmer einer Drückjagd und das entsprechende Milieu erfahren wir praktisch nichts, über Xaver Heintel (Jens Atzorn, Undercover), den heimlichen Geliebten der Witwe Zach, nur das Nötigste. So ist die reizvollste Figur tatsächlich der Tote – und das ist in einem Tatort selten ein gutes Zeichen.
Auch die Spannung köchelt auf Sparflamme: Wirklich mitreißend ist der geradlinig arrangierte, stellenweise etwas steif inszenierte Whodunit erst in den Schlussminuten – doch muss zugleich die Frage gestellt werden, ob es eine gewinnbringende Entscheidung war, den Besuch der Kommissare bei Hartz-IV-Empfängerin Bürger im Prolog schon reißerisch anzudeuten. Mit Blick auf die Täterfrage engt das den Kreis der Personen stark ein – und so ist auch die Auflösung des Mordfalls für krimierprobte Zuschauer keine Herausforderung.
Als Tatort der alten Schule unterhält der Film aber passabel, was auch daran liegt, dass die routinierten Ermittlungen mit feinem Humor und spaßigen Dialogen angereichert werden: Über köstliche Einfälle wie die „Raivoli“ aus der Dose und die „Haferlocken“ aus der Tüte darf laut gelacht werden. Diese Vorabend-Tonalität wiederum will sich nur schwer mit dem sozialen Drama vereinbaren lassen, das sich in der Wohnung der Bürgers abspielt – und so steht am Ende vor allem der Eindruck, dass in diesem Tatort deutlich mehr möglich gewesen wäre. 

Bewertung: 5/10


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