Folge: 853 | 9. Dezember 2012 | Sender: NDR | Regie: Franziska Meletzky
Bild: NDR/Gordon Muehle |
So war der Tatort:
Halb-doppelt, zum Ersten.
Wegwerfmädchen und Das goldene Band, der einen Adventssonntag später ausgestrahlt wird, bilden gemeinsam die erste Doppelfolge in der über vierzigjährigen Tatort-Geschichte. Trotz der inhaltlichen Verknüpfung sollen die beiden Folgen dabei als eigenständige Krimis funktionieren – ein durchaus kniffliges Unterfangen, das aber überraschend gut gelingt.
Franziska Meletzky (Zwischen den Ohren), die bei beiden Filmen Regie führt, und Autor Stefan Dähnert (Bluthochzeit), der auch das Drehbuch zur Fortsetzung beisteuert, wühlen buchstäblich im Abfall der Hannoveraner High Society, schicken Hauptkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) bei ihrem 20. Einsatz in Rotlichtbars und dreckige Müllverbrennungsanlagen und lassen die verdadderte Ermittlerin am Ende hilflos in der Hannoveraner LKA-Zentrale
zurück.
Dass dieser für Tatort-Verhältnisse ziemlich ungewöhnliche Schlussakkord des ersten Doppelfolgen-Teils nach dem Abspann dennoch schnell verdaut ist, steht exemplarisch für den Schongang, den der 853. Tatort trotz der beklemmenden Bildsprache einlegt: Wegwerfmädchen Larissa Pantschuk (stark: Emilia Schüle), die einleitend in einer atemberaubend fotografierten Szene wie Phönix aus der Asche einem stinkenden Müllberg entsteigt, wird nach vermeintlicher Rettung durch ihren Vater von Kriminellen in einem Container weggesperrt; die Türen krachen laut ins Schloss, ihr Schicksal als minderjährige Prostituierte scheint besiegelt.
Doch installieren Meletzky und Dähnert diese wortlose Botschaft zugleich als bedrückende Schlusseinstellung des Films? Leider nein. Stattdessen gönnen sie Lindholm und Lover Jan Liebermann (Benjamin Sadler, Mord in der ersten Liga) ein paar weitere, völlig überflüssige Sekunden vor der Kamera, in der sich die beiden freudestrahlend abknutschen und den Zuschauer damit sanft in den Sonntagabend entlassen.
Dieser ärgerlich weichgespülte Ausklang ist die atmosphärisch folgenschwerste mehrerer unnötiger Kitschszenen, die dem düster ausgerichteten Fall um skrupellosen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Machtspielchen oft die erzählerische Wucht rauben. Lindholm quält sich und den Zuschauer beim halbherzigen Fußballspielen mit Sohn David und radelt bei strahlendem Sonnenschein verliebt mit Liebermann durch die Gegend, während der undurchsichtige Staatsanwalt von Braun (André Hennicke, Inflagranti) in aller Seelenruhe die Fäden ziehen kann.
Immer wieder bremst das ausführlich illustrierte Privatleben der alleinerziehenden Mutter – ein altbekanntes Dilemma der Lindholm-Folgen – den Krimi spürbar aus, so dass sich Wegwerfmädchen seine Spannung mühsam zurückerarbeiten muss. Als deutlich unterhaltsamer entpuppt sich da die für den Krimiverlauf entscheidende, wenn auch nicht ganz glaubwürdige Nebenhandlung um den rücksichtslosen Hannoveraner Hells Angels-, pardon, Hunnen-Boss Uwe Koschnik (Robert Gallinowski, Stille Wasser), der dem tatverdächtigen Beitrittskandidaten Wolfram Littchen (René Schwittay) einige kriminelle Opfer abverlangt.
So steht unter dem Strich ein sehenswerter, aber nur bedingt überzeugender Tatort, der zwar Lust auf die Fortsetzung Das goldene Band macht, das Potenzial seiner Story aber nie ganz ausschöpft.
Schreibe einen Kommentar