Folge: 881 | 15. September 2013 | Sender: ORF | Regie: Sabine Derflinger
Bild: rbb/ORF/Petro Domenigg |
So war der Tatort:
Bibibezogen.
Denn der siebte Einsatz von Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ist zugleich ihr persönlichster: Die Wiener Ermittlerin gibt sich in Angezählt die Schuld am grausamen Flammentod der bulgarischen Prostituierten Yulya Bakalova (Milka Kekic), die kurz vor der tödlichen Feuerattacke mit einer mit Benzin gefüllten Wasser-Pumpgun versucht, ihre ehemalige Vertraute auf dem Handy anzurufen. Bibi sitzt jedoch gerade bei ihrer neuen Psychologin Dr. Schneider (Tatjana Alexander, Unsterblich schön) und drückt die anonyme Anruferin weg – eine folgenschwere Fehlentscheidung.
Viel mentale Aufbauarbeit, die ihr Kollege Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) in der Folge leisten muss, denn Drehbuchautor Martin Ambrosch und Regisseurin Sabine Derflinger, die bereits zusammen die starke Wiener Folge Falsch verpackt realisierten, schlagen ausführlich den Bogen zu Fellners Vergangenheit bei der „Sitte“, konzentrieren sich auf ihr zerrüttetes Innenleben und legen den Finger tief in die Kindheitswunden der Ermittlerin. Die Ex-Alkoholikerin heult sich hemmungslos an der Schulter ihres Kollegen aus, prügelt sich mit Verdächtigen und gesteht ihrer Psychologin das schwierige Verhältnis zu ihrem überforderten Vater, der sie als Kleinkind zu den Großeltern gab.
Dass die Wiener Kommissare auch einen grausamen Mordfall aufzuklären haben, gerät da fast zur Nebensache: Angezählt ist eine ungewöhnliche und hochemotionale, aber erst auf der Zielgeraden wirklich spannende Tatort-Folge. Fans des österreichischen Fadenkreuzkrimis kommen dennoch voll auf ihre Kosten. Nach einer halben Stunde ist nicht nur der 12-jährige und damit strafunmündige Ivo (Abdul Kadir Tuncel) als Mörder, sondern auch der kaltblütige Zuhälter Ilhan Aziz (Murathan Muslu) als skrupelloser Auftraggeber identifiziert.
FELLNER:Der hat ein Kind benutzt, um sich an der Yulya zu rächen.
Die Täterfrage wird nach dem perfiden Auftaktmord gar nicht erst gestellt, das Motiv ist offensichtlich: Rache an Yulya Bakalova, die den schmierigen Hobby-Boxer mit ihrer Aussage einst für viele Jahre hinter Gitter brachte.
Kein Wunder, dass Bibi Fellner dem Ex-Knacki sogleich die Fresse polieren möchte, doch wirkt ihr spontaner Boxkampf mit Aziz – ihr Engagement in allen Ehren – reichlich konstruiert und eher unfreiwillig amüsant als dramatisch. Da fällt die Szene, in der Fellner einem vor Lust förmlich sabbernden Mittfünfziger ihren strammen Hintern hinhält und fachmännisch den Preis für sofortigen Analverkehr verhandelt, schon deutlich origineller und witziger aus.
Dennoch: Typische humorvolle Wiener Momente wie diese bleiben die Ausnahme, denn Angezählt entpuppt sich früh als bedrückende, authentisch in Szene gesetzte Studie des von Gewalt und finanzieller Abhängigkeit geprägten Milieus der Zwangsprostitution, das Eisner und Fellner bei ihren Ermittlungen ordentlich auf links krempeln.
Dass Drehbuchautor Ambrosch auf der Zielgeraden noch eine halbgare Vaterschaftsfrage mit in den Plot quetscht, ist dabei zu verkraften: Der 881. Tatort steuert konsequent auf den zwar vorhersehbaren, aber packenden Showdown zu, in dem das Publikum intensiv um Fellners Gesundheit zittern darf. Zum leidenschaftlichen Täterrätseln im Familien- oder Freundeskreis ist Angezählt aber nicht geeignet.
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