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Grenzfall

Folge: 938 | 8. März 2015 | Sender: ORF | Regie: Rupert Henning

Bild: ARD Degeto/ORF/Allegro Film/Milenko Badzic

So war der Tatort:

Überambitioniert.

Zwar sind ausländische Geheimdienste und grenzüberschreitende Ermittlungen – man denke zurück an Paradies, in dem Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) zuletzt einen Ausflug nach Ungarn wagten – im Wiener Tatort keine Seltenheit, doch hat man von Beginn an das Gefühl, dass Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning ein bisschen viel in seinem Krimi unterbringen möchte.

Der österreichische Tatort-Debütant schlägt in Grenzfall den Bogen ins Jahr des Prager Frühlings, in dem an der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze 1968 viele Republikflüchtlinge den Tod fanden. Ähnlich wie im nur wenige Wochen zurückliegenden Bodensee-Tatort Château Mort werden regelmäßig Rückblenden ins gegenwärtige Geschehen eingeflochten – das geht zwar harmonischer vonstatten als bei den Kollegen aus Konstanz, doch ändert das nichts an dem Gesamteindruck, dass der elfte Einsatz von Eisner und Fellner trotz einiger guter Ansätze zu überfrachtet wirkt.

Dabei gibt es nur einen einzigen Toten zu beklagen: Bei einer Paddeltour auf dem malerisch gelegenen Grenzfluss
Thaya fällt der 45-jährige Tscheche Radok ins Wasser, kurz
darauf wird seine Leiche aus dem Fluss gezogen. Unfall oder Mord? Den Wiener Ermittlern ist das zunächst mal egal – schließlich ist jede Abwechslung willkommen, wenn sie die beiden nur vor dem Abarbeiten der Aktenberge rettet, die ihnen ihr Vorgesetzter Ernst Rauter (Hubert Kramar) und der neue Assistent Manfred „Fredo“ Schimpf (köstlich: Thomas Stipsits, Angezählt) auf den Schreibtisch knallen.

Nach kurzem verbalen Infight geht es bei herrlichem Sonnenschein hinaus ins niederösterreichische Waldviertel.


RAUTER:
Ich will so sagen…

EISNER:
Dann sag’s.



RAUTER:
Ich hab’s gesagt, hast du’s gehört?

EISNER:
Wenn du’s gesagt hast?



RAUTER:
Ich hab’s gesagt.

EISNER:
Dann hab ich’s gehört.

In der tschechischen Grenzregion wird es aber schon bald unübersichtlich: Der Journalist Max Ryba (Harald Windisch), auf den Eisner überhaupt nicht gut zu sprechen ist, arbeitet das Leben seines verschollenen Vaters und dessen undurchsichtigen Jugendfreundes Fritz Gassinger (Charly Rabanser, Die Macht des Schicksals) auf, bei Unternehmer Josef Karger (Lukas Resetarits) und Ehefrau Dani (Isabel Karajan, Glaube, Liebe, Tod) hängt der Haussegen schief, und die kesse Archäologie-Professorin Thiele-Voss (Andrea Clausen) und
ihr unterbezahlter Assistent Schmiedt (Marcel Mohab) graben am Ufer der
Thaya mysteriöse Hundeskelette aus.

Reichlich Stoff für einen stark historisch angehauchten Tatort – und spätestens, wenn Fellner und Ryba nach einem
hölzern inszenierten Sturz in den allenfalls knietiefen Grenzfluss beim
Kleidungswechsel auch noch halbherzig auf Tuchfühlung gehen müssen, verkommt das Krimidrama mit ernster Grundausrichtung vorübergehend zur Klamotte.

Das ist schade, denn es gibt durchaus starke Momente und reichlich bissige Dialoge: Neu-Assi Schimpf („Klingt a bissl wie an Imperativ, oder?“) stiehlt mit seiner sympathischen Grunzlache mehrere Szenen, Archäologin Thiele-Voss haut einen frechen Spruch nach dem nächsten raus („Immer die Bilder zeigen, Laien lieben Bilder!“), und die Hörsaal-Sequenz mit Eisners altem Weggefährten Professor Kreindl
(Günter Franzmeier) und dessen herrlich überzeichneten Studierenden ist eine erfrischende Variation der obligatorischen Pathologie-Besuche. Eher blass bleibt aber die tschechische Staatspolizistin Ester Tomas (Darina Dujmic, Operation Hiob), die bei ihrem Gastspiel allenfalls durch kleinere Sprachwackler auf
sich aufmerksam macht.

Aus Grenzfall hätte ein starker Tatort werden können – doch die seichten Zwischensequenzen, die zudem mit klamaukiger Dudelmusik untermalt werden, rauben dem Krimidrama schnell die Substanz. So wirkt letztlich auch die Abspann-Einblendung „Zur Erinnerung an die Opfer auf
beiden Seiten des Eisernen Vorhangs“
 überambitioniert – ein ernsterer Erzählton und ein weniger kitschiger Schlussakkord hätte dem 938. Tatort gut zu Gesicht gestanden.

Bewertung: 5/10


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