Folge: 1025 | 18. Juni 2017 | Sender: NDR | Regie: Jan Bonny
Bild: NDR/Christine Schroeder |
So war der Tatort:
Überfällig.
Denn kaum ein anderer Tatort musste so lange auf seine TV-Premiere warten wie Borowski und das Fest des Nordens: Die letzte Klappe fiel im Juli 2015 und eigentlich war der Krimi als Nachfolger für den tollen Psychothriller Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes eingeplant. Doch der NDR zog Borowski und das verlorene Mädchen und Borowski und das dunkle Netz „aufgrund der jeweiligen thematischen Aktualität in der Programmplanung“ vor – und so findet der Film von Regisseur Jan Bonny und Drehbuchautor Markus Busch (Feuerteufel), der eine Vorlage des wenige Monate nach den Dreharbeiten verstorbenen Bestseller-Autors Henning Mankell umgesetzt hat, erst zum Start der Kieler Woche 2017 den Weg in die deutschen Wohnzimmer.
Doch obwohl Borowski und das Fest des Nordens der letzte Tatort mit Sibel Kekilli in der Rolle der Hauptkommissarin Sarah Brandt ist, macht sich die vertauschte Reihenfolge kaum bemerkbar: „Ich habe mich bewusst gegen einen Abschluss-Tatort entschieden, denn man muss eine Geschichte nicht immer auserzählen“, gab der frühere Game of Thrones-Star im Vorfeld bekannt und brachte damit auf den Punkt, was für das Krimidrama auch im Allgemeinen gilt: Die Filmemacher stellen mehr Fragen, als Antworten zu geben.
Über die Vorgeschichte des verzweifelt durch die Stadt streifenden Roman Eggers (Mišel Maticevic), der von seiner Frau Tamara Becker (Franziska Hartmann) verlassen wurde und einleitend seine Ex-Geliebte im Affekt erschlägt, erfahren wir zum Beispiel nur das Nötigste – und das, obwohl Eggers der Dreh- und Angelpunkt in diesem Tatort ist.
Auch im Hinblick auf die Gefühlswelt von Brandt und ihrem Kollegen Klaus Borowski (Axel Milberg) bleiben viele Fragen offen – zum Beispiel, warum der sonst so besonnene Kommissar betrunken in einem Restaurant randaliert, sich so sehr mit dem Killer verbunden fühlt (was selbst Milberg nicht nachvollziehen kann) und das Tischtuch zwischen Borowski und Brandt so zerschnitten scheint wie nie zuvor.
BOROWSKI:Ich will Sie auch dreimal am Tag in die Förde schmeißen und ich mache es nicht. Das macht doch noch keinen Mörder aus mir.
Die 1025. Tatort-Folge ist alles andere als leichte Kost und nicht nur ästhetisch eine der ausgefallenen und anstrengenden Sorte: Die Schnitte sind hart gesetzt, die Bilder im Cinemascope-Format werden oft mit einer wackeligen Handkamera eingefangen und die Dramaturgie wirkt sprunghaft.
Auch erzählerisch brechen die Filmemacher mit einigen Tatort-Regeln und verzichten zum Beispiel auf das Whodunit-Prinzip: Beim nicht lange auf sich warten lassenden zweiten Mord an einem Drogendealer darf der Zuschauer Eggers erneut über die Schulter schauen – eine beklemmende und für die Krimireihe bemerkenswert brutale Szene, bei der man körperlich förmlich mitleidet. Getoppt wird sie nur durch eine über sechs (!) Minuten dauernde, raue Sequenz, in der Eggers den Geldverleiher Rolf Felthuus (Ronald Kukulies, Hundstage) aufsucht: Die Gewalt steigert sich von subtilen verbalen Anfeindungen über Aggressionen und bis zum existenziellen Kampf um Leben und Tod, der auch dank des herausragenden Spiels und der physischen Präsenz von Mišel Maticevic (Ihr werdet gerichtet) noch lange nachwirkt.
Spätestens hier wird klar: Trotz des drohenden Anschlags auf die Kieler Woche – der flüchtige Eggers hat bei seinem früheren Arbeitgeber Sprengstoff mitgehen lassen – ist Borowski und das Fest des Nordens keine dieser Tatort-Folgen, bei denen es bei einem Wettlauf gegen die Zeit in letzter Sekunde einen Terrorakt zu verhindern gilt (vgl. Sturm, Der Weg ins Paradies), sondern vielmehr ein aufwühlendes und forderndes Thrillerdrama im Stile eines Dominik Graf (Aus der Tiefe der Zeit).
Die Arbeit der Kripo rückt immer wieder in den Hintergrund, was angesichts der früh beantworteten Täterfrage und der rührenden Vater-Tochter-Geschichte zwischen Eggers und Töchterchen Luisa (Lilly Barshy) hinter dem Rücken der Kommissare aber kaum stört. Sieht man die Ermittler bei ihrem dreizehnten gemeinsamen Einsatz zu zweit, zanken sie ohnehin fast ununterbrochen, was stellenweise sehr aufgesetzt wirkt: Das zwischenmenschliche Tief zwischen Borowski und Brandt gipfelt kurz vor dem Abspann sogar in Handgreiflichkeiten.
Kein Wunder: Die mutige Schlusspointe ist das i-Tüpfelchen auf den erzählerisch gewöhnungsbedürftigen, aber erstklassig besetzten und handwerklich überzeugenden Film, mit dem sich Sibel Kekilli trotz der genannten Schwächen würdig aus der Krimireihe und der Tatort in die Sommerpause 2017 verabschiedet.
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