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Unter Kriegern

Folge: 1054 | 8. April 2018 | Sender: HR | Regie: Hermine Huntgeburth

Bild: HR/Bettina Müller

So war der Tatort:

Wiedererstarkt.

Denn für den bis dato so überzeugenden Frankfurter Tatort mit den Hauptkommissaren Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) war 2017 buchstäblich ein Horror-Jahr: Dem enttäuschenden Januar-Tatort Land in dieser Zeit folgte im Herbst der desaströse Horror-Tatort Fürchte dich – ein zweifellos mutiger, aber kolossal gescheiterter Genre-Mix des für seine Experimentierfreudigkeit berühmten Hessischen Rundfunks.

Mit dem beklemmenden Krimidrama Unter Kriegern, das das Deutsche FernsehKrimi-Festival 2018 eröffnete, meldet sich die Main-Metropole wenige Monate später in alter Stärke zurück: Drehbuchautor Volker Einrauch und Regisseurin Hermine Huntgeburth, die bereits den tollen Frankfurter Tatort Die Geschichte vom bösen Friederich realisierten, wildern zwar ebenfalls fleißig im Horror-Genre, gehen dabei aber deutlich subtiler vor.

Die bedauernswerte Meike Voss (überragend: Lina Beckmann, Das Wunder von Wolbeck) wird bei jeder Gelegenheit von ihrem sadistischen Ehemann Joachim Voss (eiskalt: Golo Euler, Hardcore) gedemütigt und durchlebt in den eigenen vier Wänden einen Alptraum, der sie bis an den Rand des Suizids bringt. Ihr Sohn Felix (teuflisch gut: Juri Winkler) hält nicht etwa zu seiner Mutter, sondern zu seinem leistungsorientierten Stiefvater – gemeinsam machen die beiden der passionierten Hobby-Reiterin (Pferd: „Halunke“) den Alltag zur Hölle.


VOSS:
Mein Gott, Meike. Deine Phantasielosigkeit ist manchmal wirklich ganz schön deprimierend. Uns das bisschen Geist, das noch vorhanden ist, geht für die Pferde drauf. Was bestimmt super für die Pferde ist.

Ganz klar: Das Herz der 1054. Tatort-Folge schlägt im Hause Voss, wenngleich sich die Filmemacher an die Strukturen eines klassischen Whodunit halten: Einleitend wird im Keller des Hessischen Sportleistungszentrums die Leiche des elfjährigen Malte Rahmani (Ilyes Raoul Moutaoukkil) gefunden – ein Unbekannter hat den Jungen in einen Heizkessel gesperrt und qualvoll verdursten lassen. Weil Joachim Voss das Zentrum leitet und sein Sohn mit Malte Judo trainierte, führt die Spur zu ihnen – und damit zu zwei Tatverdächtigen, deren Boshaftigkeit in der jüngeren Tatort-Geschichte ihresgleichen sucht.

Der diabolische Felix könnte einem Evil-Child-Schocker entsprungen sein, erinnert aber auch an den mordenden Kevin in Lynne Ramsays We need to talk about Kevin oder den diabolischen Henry in Joseph Rubens Das zweite Gesicht. Die (ohnehin vorhersehbare) Auflösung der Täterfrage spielt in Unter Kriegern nur eine untergeordnete Rolle – was die Geschichte vorantreibt, ist vielmehr die Frage, ob es Meike Voss wohl gelingen wird, dem brutalen Psychoterror zu entfliehen.

Janneke und Brix spielen in dem beklemmenden Gewitter aus täglicher Demütigung, verbalen Anfeindungen und schmerzhaften Handgreiflichkeiten häufig nur die zweite Geige: Die interessantesten Szenen finden hinter ihrem Rücken statt, so dass der Zuschauer oft einen kleinen Wissensvorsprung gegenüber den Kommissaren genießt.

Bei der Charakterzeichnung gehen die Filmemacher nicht nur präzise, sondern auch differenziert vor: Mögen Mauerblümchen Meike, der sadistische Sonderling Felix und der knallharte IOC-Aspirant Jochen anfangs wie plumpe Stereotypen wirken, erfährt jeder von ihnen früher oder später einen Moment, der mit diesem ersten Eindruck bricht. Das gilt auch für den cholerischen und ebenfalls tatverdächtigen Hausmeister Sven Brunner (Stefan Konarske, ermittelte bis 2017 als Oberkommissar Daniel Kossik im Tatort aus Dortmund), der für die wenigen heiteren Momente in dem bedrückenden Krimidrama verantwortlich zeichnet: Brunner bringt mit seinen amüsanten Aggressionen („Warum sollte ich das tun, du Bullenarsch!?“) ordentlich Stimmung in die Bude.

Erneut blass bleibt hingegen der gebildete Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), der zum dritten Mal als Vorgesetzter von Janneke und Brix mit von der Partie ist: Cariddi wirkt erneut wie ein Fremdkörper und ist diesmal vor allem mit der Suche nach einem Gewalttäter beschäftigt, der ihm in der Eröffnungssequenz die Nase demoliert.

Deutlich runder wirkt der Soundtrack: Dank des Desire-Songs Under your spell, der bereits Nicolas Winding Refns Neo-Noir-Meisterwerk Drive veredelte, weht für einen Moment sogar Ein Hauch von Hollywood durch diesen unaufdringlich vertonten Frankfurter Tatort, in dem es noch eine pikante Anspielung auf den Franken-Tatort zu entdecken gibt.

Bewertung: 8/10



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