Folge: 1127 | 5. April 2020 | Sender: MDR | Regie: Stephan Lacant
Bild: MDR/W&B Television/Michael Kotschi
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So war der Tatort:
Schweißtreibend – und das nicht nur für die mitfiebernden Zuschauer, sondern auch für alle Beteiligten im Film.
Die Zeit ist gekommen spielt nämlich wie Sidney Lumets thematisch ähnlich gelagerter Hollywood-Klassiker Hundstage im Hochsommer – und der hinterlässt nicht nur auf dem Hemd von Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Michael Brambach) sichtbare Spuren der Nässe, sondern treibt auch den Hauptkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel), die sich bei ihrem dritten Fall weiterhin siezen, die Schweißperlen auf die Stirn.
Und dann ist da noch die Herkulesaufgabe, die es zu lösen gilt: Der vorbestrafte Familienvater Louis Bürger (toll: Max Riemelt) hat sich mit seiner Frau Anna (auch toll: Katia Fellin), seinem 12-jährigen Sohn Tim (Claude Heinrich) und mehreren Geiseln in einem Kinderheim verschanzt und scheint dort zu allem entschlossen – es sei denn, es gelingt den Dresdner Ermittlerinnen, den einleitenden Mord an einem Polizisten aufzuklären, für den sie den vehement auf seine Unschuld pochenden Bürger zuvor in Untersuchungshaft gesteckt haben (aus der er allerdings mit einem ziemlich schmerzvollen Zahnbürstentrick wieder entkommen ist).
Die Beweislage gegen den Hauptverdächtigen liest sich so erdrückend, dass eines von Beginn an gewiss ist: Wer im Hinblick auf den Mordfall so eindeutig schuldig zu sein scheint, ist im Tatort am Ende mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unschuldig.
GORNIAK:
Herr Bürger, lassen Sie uns gemeinsam versuchen, das Ganze hier friedlich und ohne Verletzungen zu klären.BÜRGER:Wir kommen hier erst raus, wenn ihr wisst, wer’s war!
Die Drehbuchautoren Stefanie Veith und Michael Comtesse, die zuletzt an der Geschichte zum überambitionierten Bremer Tatort Wo ist nur mein Schatz geblieben? mitschrieben, entwerfen diesmal die typische Pattsituation, die wir in den vergangenen Jahren auch im überraschend starken Luzerner Tatort Friss oder stirb oder in der grandiosen Zeitschleifen-Hommage Murot und das Murmeltier zu sehen bekamen: Drinnen die Kriminellen, draußen die Polizisten – und während die in die Enge getriebenen Täter ihre Forderungen mit aller Macht erfüllt sehen wollen, geht es für die Beamten darum, das Ganze ohne Zugeständnisse unblutig zu Ende zu bringen.
Sieht in den Anfangsminuten noch vieles nach einer Bonnie und Clyde-Variation im Tatort-Korsett aus, wandelt sich der Film nach zwanzig Minuten zum emotionalen und mitreißenden Geiselnahme-Thriller: Unterstützt vom stimmungsvollen Soundtrack darf in und rund um den unübersichtlichen Wohnkomplex – es gibt mehrere Ein- und Ausgänge, dutzende Zimmer mit Fenster und nicht zuletzt einen Keller – mitgefiebert werden, ob es den Kommissarinnen wohl gelingt, den Täter zum Aufgeben zu bewegen und die Geiseln zu befreien.
Dass Dienstvorschriften keine Rolle zu spielen scheinen und die Kripo einen dicken Fehler begeht, der ihr bereits im vielgelobten Vorvorgänger Das Nest unterlaufen ist, sei den Filmemachern im Sinne des Unterhaltungswerts verziehen – und dass zusätzlich Variablen und Unbekannte ins Spiel kommen, um die Spannungskurve dauerhaft hoch zu halten, versteht sich fast von selbst. Auf dem tropisch heißen Dachboden haben sich zum Beispiel die zwei Mädchen Verena (Emilia Pieske, Echolot) und Larissa (Paula Donath) versteckt und halten ohne Wissen der Täter Sichtkontakt mit den Ermittlern – im Erdgeschoss wiederum versucht der aufmüpfige Teenager Nico (Emil Belton), dem gereizten Louis ein Schnippchen zu schlagen.
Ein echter Whodunit ist die 1127. Tatort-Ausgabe trotz des einleitenden Mordfalls also nur bedingt, und auch schon vor der Eskalation im Kinderheim deutet sich fast unübersehbar an, dass die Auflösung eine herbe Enttäuschung werden könnte: Der Kreis der Verdächtigen ist extrem überschaubar, weil außer den viel zu verdächtigen Bürgers eigentlich nur Louis‘ Schwager Holger Schanski (Karsten Antonio Mielke, Inferno) und seine Frau Lilly (Bea Brocks) lose mit dem Fall in Verbindung stehen.
Was genau hinter dem Auftaktmord an dem Polizisten steckt, welches Motiv dazu den Anstoß gab und wie das Ganze vertuscht werden sollte, wird schließlich sagenhaft oberflächlich in einem rund einminütigen Schnabel-Monolog vorgetragen und prompt ohne jeden Widerstand bestätigt. Das wirkt völlig beliebig und schmälert den Gesamteindruck dieser ansonsten von Tatort-Debütant Stephan Lacant so packend in Szene gesetzten Folge am Ende doch empfindlich.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Krieg im Kopf“
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