Folge: 1091 | 22. April 2019 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen/ARD Degeto/Christine Schroeder |
So war der Tatort:
Grenzenlos – denn gleich zum Auftakt ihres letzten Falls gröhlt Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) beim Fallschirmsprung mit ihrem langjährigen Partner Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) die zu diesem Tatort so wunderbar passenden Zeilen von Reinhard Mey.
Auch bei Radio Bremen hat man sich nach den fast 22 Dienstjahren der Kommissarin, die einst in Inflagranti ihr Debüt für die Krimreihe gab und danach viele Höhen und Tiefen durchlebte, wohl gedacht: Zum Ende lassen wir es nochmal richtig krachen und pfeifen auf die Grenzen, die sich die Krimireihe einmal selbst gesetzt hat (und die in den Monaten davor auch in anderen Tatort-Städten häufig gesprengt wurden).
Ganz so schräg wie der vieldiskutierte Vampir-Vorgänger Blut fällt Wo ist nur mein Schatz geblieben? zwar nicht aus, doch versucht sich Regisseur Florian Baxmeyer, der gemeinsam mit Michael Comtesse (Wir kriegen Euch alle) und Stefanie Veith (Nachtsicht) auch das Drehbuch zum Film schrieb, an einer eigenwilligen Mischung aus amerikanisch angehauchtem Actionthriller und bodenständigem Krimidrama mit düsterer Grundnote – eine mutige, zugleich aber auch anstrengende Mischung, die unterm Strich nicht recht funktionieren will.
Dabei wirkt der Fall anfangs weniger abgehoben als die fallschirmspringenden Kommissare: Eine Frauenleiche auf einer Baustelle führt Lürsen und Stedefreund zunächst in die Immobilienfirma von Vera Berlov (Violetta Schurawlow), die mit ihrem Kollegen Roger Stahl (Kostja Ullmann, Schwarzer Afghane) liiert ist und ein gemeinsames Kind hat – und später auch eine Leiche im Keller.
STAHL:
Da liegt ein scheiß Torso in deiner Kühltruhe.
BERLOV:Na und? Ich hab‘ neue Schuhe. Wen juckt’s?
Spätestens mit dem Besuch von Berlovs skrupellosem Bruder Adam (Daniel Wagner, Der Mann, der lügt) und der tschetschenischen Mafia nimmt Wo ist nur mein Schatz geblieben? Fahrt auf – doch die dynamische Inszenierung und der wummernde Soundtrack können die klischeebeladenen Figuren, die lahmen Plattitüden und nicht alle Mängel im Drehbuch kaschieren.
Da wären zunächst mal die durchgeknallten BKA-Ermittler Manfred Maller (Robert Hunger-Bühler, Wahre Lügen) und Wolfgang Kempf (Philipp Hochmair, Borowski und das Meer), die Lürsen und Stedefreund in die Parade grätschen – ein Handlungskniff, der im Tatort wahrlich nichts Neues ist, zugleich aber auch zwei Figuren, die fernab jeder Realität agieren. Stahl und Berlov wirken im Vergleich fast schon geerdet – das glückliche Pärchen kauft man den beiden aber zu keinem Zeitpunkt des Films ab.
Zum unfreiwilligen Running Gag entwickelt sich ihr Baby Kolja (Junis Koussan), das praktisch in jeder Sequenz von einem der beiden gewickelt, auf dem Arm getragen oder durch die Gegend gefahren wird – ganz gleich, ob gerade die schwer bewaffnete Mafiaverwandtschaft mit einem enthaupteten Torso hereingeschneit ist und die Babysitterin zu Tode erschreckt hat, die Kommissare in Berlovs Firma herumschnüffeln oder ein SEK in der Hofeinfahrt steht. Auch schauspielerisch liegt manches im Argen – einige Komparsen und Kleindarsteller agieren so steif und hölzern, dass man diese Szenen besser gleich ganz gestrichen hätte.
Die Antriebsfeder der 1091. Tatort-Folge ist im Übrigen weniger die Suche nach dem Mörder, sondern vielmehr die Tatsache, dass Stedefreund seine Kollegin sechs Jahre lang angeschwindelt hat: Kehrte der Bremer Kommissar im Tatort Er wird töten nach einem angeblichen Einsatz als Polizeiausbilder aus Afghanistan zurück, offenbart sich nun, dass Stedefreund einer ganz anderen Beschäftigung nachgegangen ist. Dabei hat man aber weniger das Gefühl, dass Radio Bremen diese Auflösung von langer Hand geplant hätte – vielmehr scheint das Ganze eine willkommene Gelegenheit zu sein, dem Kommissar nachträglich irgendein dunkles Geheimnis andichten zu können.
Deutlich unspektakulärer als die Aufarbeitung von Stedefreunds Sünden der Vergangenheit fällt das Wiedersehen mit BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) aus, die sich in Zurück ins Licht verabschiedet hatte und nun doch noch einmal ihre Hackerqualitäten unter Beweis stellt: Zum Abschluss wollte man in Bremen auf Kosten der Glaubwürdigkeit offenbar noch einmal alle vor der Kamera zusammenbringen und aufeinander loslassen. So verabschieden sich Lürsen und Stedefreund mit einem ebenso dramatischen wie kitschigen Schlussakkord – aber nicht mit einem überzeugenden Tatort.
Linda Selb wird im Übrigen ein weiteres Mal zurückkehren – und bleiben.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Inferno“
Schreibe einen Kommentar