Folge: 1073 | 2. Dezember 2018 | Sender: BR | Regie: Sven Bohse
Bild: BR/Tellux-Film Gmbh/Hendrik Heiden |
So war der Tatort:
Blauäugig – und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Denn da ist zum einen die gar nicht mal so niedliche Smartpuppe Senta mit den leuchtenden blauen Augen, die in vielen Münchner Kinderzimmern ein Zuhause gefunden hat – eine Rentnerin, die die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) tot in ihrer Wohnung finden, hatte das in Deutschland verbotene Spielzeug in Österreich gekauft und an Kinder verschenkt, bei denen sie einen Missbrauch durch die eigenen Eltern vermutete.
Ein bisschen blauäugig aber vielleicht auch von den Drehbuchautoren Michael Proehl (Das Haus am Ende der Straße) und Michael Comtesse (Dein Name sei Harbinger), zu glauben, ein verstörtes Kind würde sich zum Herzausschütten ausgerechnet einer Puppe anvertrauen, deren Augen im Dunkeln so bedrohlich funkeln wie in einem Horrorfilm – Annabelle oder Chucky lassen grüßen.
Und blauäugig agiert in Wir kriegen euch alle auch Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) – der will in einer Pressemitteilung zur Suche nach den in München verstreuten Senta-Puppen auf den Zusammenhang mit möglichem sexuellen Missbrauch hinweisen und stößt mit diesem naiven Vorschlag erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe.
Batic und Leitmayr gehen cleverer vor: Nachdem die Eltern der mutmaßlich missbrauchten Lena Faber (Romy Seitz) brutal ermordet werden, schleust sich Batic undercover bei den „Anonymen Überlebenden von Kindesmissbrauch“ ein, während Leitmayr dort in offizieller Mission anklopft und bei Gruppenleiter Gerd Schneider (Thomas Limpinsel, Requiem) auf Granit beißt.
LEITMAYR:Sagen Sie, das ist doch ’ne Gesprächsgruppe hier, oder? Ich finde, dafür reden Sie relativ wenig.
Sechs Wochen nach dem durchwachsenen Cyber-Tatort KI wagen sich die Filmemacher in München erneut an ein digitales Thema – das Bemerkenswerteste am 1073. Tatort sind aber weniger die per App bedien- und leicht manipulierbaren Smartpuppen, sondern der Besuch des Weihnachtsmanns mit Machete, der in Wir kriegen euch alle anstelle von Geschenken den Tod bringt.
Wer glaubt, der Tatort spiele zur passenden Jahreszeit, was angesichts der TV-Premiere am 1. Advent durchaus nahe läge, liegt allerdings falsch: In München herrscht herrliches Frühlingswetter, was die kleinen Kinder, die dem als Santa Claus maskierten Mörder ihrer unter Missbrauchsverdacht stehenden Eltern ahnungslos die Tür öffnen, nicht im Geringsten stört.
Neben solchen Ungereimtheiten offenbaren sich auch Schwächen bei der Figurenzeichnung: Während der stark aufspielende Leonard Carow (Mord auf Langeoog) als psychisch labiler Hasko reichlich Kamerazeit bekommt, spielt der unterforderte Jannik Schümann (Gegen den Kopf) mit dem partyfreudigen Schulabgänger Louis nur die Karikatur eines ungeliebten Sohnes, der den hohen Ansprüchen seines strengen Vaters Volker (Stephan Schad, Herrenabend) nicht gerecht wird.
Wirklich kennenlernen dürfen wir den mit Nerdbrille und Jogginganzug schon rein optisch stark überzeichneten Faulenzer nicht: Seine Liebe zum asiatischen Au-Pair-Mädchen Maggie (Yun Huang) bleibt reine Behauptung und gipfelt in einem unfreiwillig komischen Finale, bei dem ein schwarzer Regenschirm die entscheidende Rolle spielt.
Spaß macht der Film trotzdem, denn die Geschichte fällt zwar nicht sonderlich glaubwürdig aus, wartet aber mit ironischen Zwischentönen und tollen Spannungsmomenten auf: Regisseur Sven Bohse (Borowski und das Land zwischen den Meeren) inszeniert eine vor allem ästhetisch überzeugende Kreuzung aus einem düsteren Missbrauchsthriller mit Horror-Anleihen und einem heiteren Krimi. Trotz des fesselnd in Szene gesetzten und überraschend brutalen Auftaktmords kommt der Humor in der Folge nämlich nicht zu kurz: Zu den spaßigsten Momenten zählen eine spontane Räuberleiter und Batic‘ verzweifelte Versuche, mit seinem Smartphone ein Mobilfunknetz zu finden, ehe ein Hund seine Pläne durchkreuzt.
Auch die Auflösung ist keineswegs Formsache: Der bemitleidenswerte Hasko, dem die Kommissare ähnlich wie im herausragenden Münchner Fall Der tiefe Schlaf aufgrund einer körperlichen Auffälligkeit auf die Schliche kommen, ist einfach viel zu verdächtig, als dass er als (alleiniger) Mörder infrage käme – und auch der Krimititel im Plural lässt erahnen, dass wohl noch jemand seine Finger im Spiel hat.
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