Folge: 1134 | 1. Juni 2020 | Sender: MDR | Regie: Mira Thiel
Bild: MDR/Steffen Junghans |
So war der Tatort:
Zum Schreien, oder besser gesagt: zum Schreyen. Zumindest 70 Minuten lang – denn bis dahin zählt Der letzte Schrey mit zum Witzigsten, was seit dem Dienstantritt der Hauptkommissare Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner) aus Weimar gesendet wurde.
Nach dem tollen Erstling Die fette Hoppe von 2013 ist über die Jahre fast ein wenig Routine in Thüringen eingekehrt – zwar boten humorvolle Tatort-Folgen wie Der wüste Gobi oder Die robuste Roswita immer noch originellere Gags als die zunehmend ermüdenden Schmunzelkrimis aus Münster, aber der ganz große Wurf wollte dem MDR seitdem nicht mehr gelingen. Beim zehnten Einsatz der Weimarer Ermittler sind Stammautor Murmel Clausen (Die harte Kern) und Regisseurin Mira Thiel bei deren Debüt für die Krimireihe aber auf einem sehr guten Weg – ehe es auf der Zielgeraden schließlich allzu abstrus wird und die bis dato so pfiffige Geschichte in einem überkonstruierten Finale versandet.
Die Grenze nach Absurdistan wird bis dato auch nur in Maßen überschritten – etwa dann, wenn Kripochef Kurt Stich (Thorsten Merten) wie selbstverständlich in Flip-Flops am Fundort einer Leiche aufschlägt und seinen Kommissaren von seinen kurzfristig verschobenen Urlaubsplänen mit Schutzpolizist Ludwig „Lupo“ Pohl (Arndt Schwering-Sohnrey) erzählt, der prompt mit dem passenden Trinkhelm am Tatort erscheint.
LESSING:Ich mach mir ’n bisschen Sorgen um Stich. Mit Lupo nach Ibiza?
Der Tatort aus Weimar ist neben seinem cleveren Wortwitz und seinen originellen Filmtiteln auch für seine schrägen Figuren bekannt – manch einer liebt diese spannungsarme Mischung, manch einer hasst sie, und auch in Der letzte Schrey muss man nicht lange nach den Zutaten für das Erfolgsrezept suchen.
Aus der Antwort auf die Frage nach dem Mörder machen die Filmemacher dabei kein Geheimnis: Das debile Gangsterpärchen Freya (Sarah Viktoria Frick) und Zecke (Christopher Vantis) besucht einleitend den Textilunternehmer Gerd Schrey (Jörg Schüttauf, bis 2010 als Kommissar Fritz Dellwo im Tatort aus Frankfurt zu sehen) – und während Schrey selbst mit einem Fleischerhammer (!) niedergeschlagen und gekidnappt wird, muss neben seinem Hund Ginger auch Gattin Marlies (Nina Petri, Schmale Schultern) das Zeitliche segnen.
Heimliche Publikumslieblinge sind aber nicht etwa Gerd Schrey oder sein Sohn Maik (Julius Nitschkoff, Krieg im Kopf), sondern die cholerische Freya und der einfältige Zecke, die sich als herrlich überzeichneter Gegenentwurf zu professionellen Lösegelderpressern pausenlos ankeifen – und wer glaubt, dass Unternehmergattin Schrey die Letzte ist, die in diesem wendungsreichen Tatort ins Gras beißt, ist denkbar schief gewickelt.
Schon nach einer halben Stunde wird das Geschehen überraschend auf den Kopf gestellt, als Lessing eine entscheidende Entdeckung in einer Jauchegrube macht. Später ist es dann die verpatzte Geldübergabe unter einem Strommast, bei dem ein aberwitziger Einfall den nächsten jagt und man fast Mitleid mit dem vom Schicksal gebeutelten Verbrecher bekommt.
Es spricht aber zugleich für den 1134. Tatort, dass einem das Lachen bisweilen im Halse stecken bleibt, denn die Filmemacher platzieren auch tragikomische Momente, ohne dass diese die Tonalität des Films verstimmen würden: Während Gerd Schrey so gut wie nichts über seinen Sohn zu wissen scheint, der aber das Lösegeld für ihn berappen soll, jammert und weint er plötzlich wie ein Schlosshund, als er vom Ableben seiner Frau erfährt. In fast grotesk anmutenden Szenen wie diesen weiß man kaum, ob man nun schmunzeln oder weinen soll.
Kripochef Stich ist eindeutig für die heiteren Momente zuständig – sein Auftritt als Co-Pilot mit zwei Kilogramm Mykonos-Platte im Magen ist schlichtweg köstlich und tröstet ein Stück weit über das ebenso schwache wie vorhersehbare Finale hinweg, bei dem das von Lessing zur Kinderbetreuung eingestellte Au-Pair-Mädchen Adrienne (Marion Bott) sein Dasein in dieser Krimikomödie endlich rechtfertigt und die einzelnen Handlungsfäden unnötigerweise alle im selben Strang enden.
Auch der auffällig bei Jerks abgekupferte Soundtrack wertet den zehnten Einsatz von Lessing und Dorn eher ab als auf – wohl kein Zufall, dass die tolle Comedyserie denselben Hauptdarsteller in ihren Reihen weiß.
Rezension der vorherigen Folge: Kritik zum Tatort „Du allein“
Schreibe einen Kommentar