Folge: 1223 | 22. Januar 2023 | Sender: SWR | Regie: Tom Lass
Innerfamiliär – zum dritten Mal binnen drei Wochen.
Denn nachdem der Kölner Hauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) im soliden Neujahrstatort
Schutzmaßnahmen gegen seine eigene Tochter und Enkelin und der Dortmunder Ermittler Peter Faber (Jörg Hartmann) im deutlich sehenswerteren Vorgänger-Tatort
Du bleibst hier gegen seinen eigenen Vater ermittelte, trifft es drei bzw. eine Woche später nun die Ludwigshafener Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts). Fällt den Kreativen wirklich nichts Originelleres ein?
Odenthal bekommt in
Lenas Tante, der pragmatische Krimititel deutet es an, Besuch von ihrer resoluten Tante Nikola „Niki“ Odenthal (Ursula Werner,
Für immer und dich) – und auch die pensionierte Staatsanwältin ist natürlich tief in den Kriminalfall verstrickt, den ihre Nichte mit Partnerin Johanna Stern (Lisa Bitter), SpuSi-Chef Peter Becker (Peter Espeloer), Rechtsmediziner Dr. Hakan Özcan (Kailas Mahadevan) und Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) aufklären muss. Im Altenstift Kurpfalz ist ein Heimbewohner an einer Überdosis Insulin verstorben, aber noch lebend im Krematorium gelandet, wo er dann zur Überraschung des fahrlässig handelnden Arztes Dr. Roters (Johannes Dullien) endgültig das Zeitliche segnete.
Ein bemerkenswerter Auftakt, und auch seinen unglücklichen Sendetermin mag man dem Tatort nicht vorwerfen – wohl aber die realitätsfernen Manöver im Drehbuch von Stefan Dähnert, die bereits seinen Ludwigshafener Vorgänger
Das Verhör kennzeichneten und Odenthals Ermittlungen in keinster Weise beschränken. Musste sich Freddy Schenk zumindest mahnende Worte seines Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) anhören, übernimmt die nicht minder befangene Lena Odenthal die Befragungen ihrer hochnäsigen Tante einfach selbst. Vielleicht, um der hämischen alten Dame zu beweisen, dass sie eine tolle Ermittlerin ist. Und vielleicht auch, um sich nicht noch einen anstrengenden Seitenhieb darauf gefallen lassen zu müssen, dass sie es nie aus „LU“ rausgeschafft hat und dass die ehrgeizige(re) Johanna Stern wohl früher oder später an ihr vorbeizieht.
NIKI ODENTHAL:
Ludwigshafen! Wie hältst du das hier bloß aus?
LENA ODENTHAL:
Ich werd‘ der Stadt halt immer ähnlicher.
NIKI ODENTHAL:
Zehn gute Jahre haste noch und hängst hier immer noch rum. Das ist Provinz, Lenchen. Finsterste Provinz.
Auch thematisch betritt der Tatort unter Regie von Tom Lass kein Neuland: Ermittlungen im Altenheim und Kritik am Pflegesystem gab es in der Krimireihe schon häufig und auch mit deutlich mehr Tiefgang – etwa im Kölner Tatort
Hundeleben von 2004 oder im starken Bremer Tatort
Im toten Winkel von 2018. Und natürlich im Ludwigshafener Tatort
Schöner sterben, in dem Lena Odenthal schon einmal gegen ihre Tante ermittelte, allerdings gegen eine andere, nämlich Emma Odenthal. Auch im Krimi von 2003 spielte ein Fotoapparat eine wichtige Rolle, während der Hauptverdächtige den Namen Vogelsang trug – und auch damals wurde eine historische Brücke in die NS-Zeit geschlagen. Echt jetzt?
So viel Abkupfern ist schon fast frech – und auch mit Blick auf die flache Spannungskurve ist
Lenas Tante, in dem es eine kurze Exkursion ins
KZ Natzweiler-Struthof gibt, eine Enttäuschung. Das anfängliche Versteckspiel, das die selten sympathische Nazi-Jägerin Niki mit der zunehmend genervten Lena betreibt, bringt kaum Brisanz in die Geschichte, weil offensichtlich ist, dass die Sache bald auffliegt. Sterns Affäre mit dem von Frau und Kind verlassenen Arzt wiederum wird recht halbherzig arrangiert und mündet in einen mehr als kitschigen Schlussakkord, der so gar nicht mit dem bedrückenden NS-Thema harmoniert. Wären da nicht die tristen Betonkulissen und die immergleichen Vogelperspektiven auf Ludwigshafener Straßenknoten, könnte man fast meinen, das parallel laufende Herzkino im ZDF erwischt zu haben.
Immerhin: Der geschiedenen Figur Johanna Stern, die bei ihren ersten Einsätzen am Rhein fast ausschließlich auf ihre Tablet-Affinität und ihre zwei Kinder reduziert wurde (vgl.
Blackout oder
Babbeldasch), tut der Handlungsschlenker gut. Die Geschichte bringt er aber ebenso wenig voran wie Odenthals Verwandtschaft zu Niki. Vielmehr erhält der ohnehin selten mitreißende Krimi einen seichten Beigeschmack, der in einer
Gianna-Nannini-Partysequenz zum Fremdschämen gipfelt.
Als klassischer Whodunit zum Miträtseln funktioniert der 1223. Tatort aber passabel – und so kommt zumindest das experimentierscheue Stammpublikum, das einfach nur bei einer Mördersuche miträtseln möchte, auf seine Kosten. Klar ist dabei allerdings, dass Tante Odenthal nicht die Täterin ist: viel zu verdächtig, viel zu offensichtliches Motiv, viel zu nah dran an der Kommissarin. Dann schon eher der rechte Reichsbürger, Online-Powerseller und Holocaust-Leugner Markus Gruner (Niklas Kohrt), die Altenpflegerin Simona Ferizaj (Maja Zeco), Heimleiterin Busse (Cristin König,
Böser Boden) oder einer der Bewohner des Altenstifts: Dass wir diese nie unterschätzen sollten, haben auch schon viele andere Krimis unterstrichen.
Bewertung: 4/10
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