Folge: 1232 | 10. April 2023 | Sender: RBB | Regie: Robert Thalheim
Zweigeteilt, zum Zweiten.
Und der zweite Teil des Zweiteilers, in dem der Berliner Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) zum ersten Mal gemeinsam mit LKA-Rückkehrerin Susanne Bonard (Corinna Harfouch) ermittelt, macht auch zunächst genau da weiter, wo der erste Teil aufgehört hat: im Mittelmaß.
Nichts als die Wahrheit (2), der ebenfalls nach dem Drehbuch von Stefan Kolditz und Katja Wenzel und unter Regie von Robert Thalheim entstand, nimmt den Ball des Vorgängers auf und beginnt mit dem Tod der stramm rechten Streifenpolizistin Tina Gebhardt (Bea Brocks,
Die Zeit ist gekommen), die in der Schlusssequenz von
Nichts als die Wahrheit (1) überraschend das Zeitliche segnete. Damit gilt es für Karow und Bonard nun, gleich zwei Morde aufzuklären: Zum einen den Tod der Kollegin Rebecca Kästner (Kaya Marie Möller), zum anderen Gebhardts Ableben. Doch die Filmemacher haben noch Größeres mit ihrem Publikum vor.
Schon im Vorgänger ergaben sich spätestens durch das Eingreifen des Verfassungsschutz-Mitarbeiters Reitemeier (Tilo Nest,
Wo ist Mike?) konkrete Hinweise darauf, dass ein rechtes Netzwerk zum großen Schlag gegen die deutsche Demokratie ausholt. Und durch ein geheimes Treffen mit dem Schweizer Investigativjournalisten Pierre Morel (Roland Bonjour,
Die goldene Zeit) rücken die Fragen, wer Kästner und Gebhardt ins Jenseits befördert hat, nun zunehmend in den Hintergrund. Nach knapp einer Stunde werden sie gar vorzeitig geklärt.
Anders als die Verfassungsfeinde, die ein sieben Kilo schweres Scharfschützengewehr in ihrem Besitz wissen, vergreifen sich die Filmemacher bei ihrer überdeutlichen Warnung vor der Gefahr vom rechten Rand aber in der Wahl ihrer Waffen. Statt die viel interessanteren Grautöne zwischen Gut und Böse auszuloten, setzen sie auf simple Schwarz-Weiß-Malerei und plumpes Nazi-Bashing, das die Kommentarspalten in den sozialen Medien während der TV-Premiere einmal mehr zum Glühen brachte („Erziehungsfernsehen!“, „Staatspropaganda!“). Auch Bonards Ehemann, der Richter Kaya Kaymaz (Ercan Karaçayli), ist sich schon vor der Verhandlung mit einem Staatsanwalt über ein Urteil einig und stimmt bei den hüftsteif vorgetragenen Debatten im Hause Kaymaz-Bonard mit ein.
KAYMAZ:
Drei rechte Schläger foltern einen Sinto fast zu Tode und hinterlassen am Tatort Fingerabdrücke ohne Ende. Ein Glück, dass diese Leute den IQ eines Faultiers haben.
BONARD:
Nicht alle.
So ehrenwert und gut gemeint das Ansinnen ist, so billig wirkt oft die Umsetzung. Denn mit dem Nazi-Bashing nicht genug: Bonard gewährt auch dem geflüchteten Syrer Najim Saad (Shadi Eck), der in den Anschlag auf Gebhardt verwickelt sein könnte, bei sich zu Hause Obdach. Refugees welcome! Das ist nicht nur sehr dick aufgetragen, sondern spottet jeder Vorschrift, über die sich die frühere LKA-Legende ohnehin nach Belieben hinwegsetzt. Geschossen hat natürlich weder der schüchterne Najim, der sich direkt mit Bonards Sohn Tom (Ivo Kortlang) anfreundet, noch sein untadeliger Bruder Fawad Saad (Aziz Dyab) – auch das ist in der Krimireihe keine Überraschung und entsprechend vorhersehbar.
Dennoch: Nichts als die Wahrheit (2), der häufiger an Touri-Hotspots als in schattigen Milieus spielt, ist trotz dieser Schwächen eine ganze Ecke stärker als der erste Teil. Das temporeich und dynamisch arrangierte Schlussdrittel entschädigt für so manchen Holzhammer-Dialog und auch für die formelhafte Dramaturgie, aus der sich der Film nie befreit. Nach der Vorwegnahme der Auflösung beider Täterfragen wandelt sich der 1232. Tatort nach rund einer Stunde zum packenden Politthriller, der keine Gefangenen macht und auch dahin geht, wo es weh tut.
Mit der rechtspopulistischen Bundesverfassungsgerichtsvizepräsidentin Julia Kirchhoff (Birge Schade,
Nachbarn), die reflexartig den nicht minder gefährlichen linken und islamistischen Extremismus anprangert, und dem frisch gewählten Präsidenten Anton Willser (Thomas Dannemann,
Benutzt) rücken die beiden obersten Köpfe der deutschen Judikative in den Blickpunkt. Am Potsdamer Platz laufen die Fäden beim großen Finale zusammen. Nur wenige Meter weiter entstand einst der auf der Berlinale gedrehte, beste Karow-und-Rubin-Tatort
Meta, an den der Auftakt-Zweiteiler mit Karow und Bonard aber trotz der steilen Spannungskurve nicht heranreicht.
Erwähnt sei noch ein kurzer Moment, der uns für einen Augenblick den Boden unter den Füßen wegzieht: Bonard nickt auf dem Sofa ein und träumt, sie selbst habe Schutzpolizistin Kästner erschossen – wacht dann aber schockiert auf, als sie gerade den Abzug drückt. Das wäre doch mal mutig gewesen: Eine Tatort-Ermittlerin als Wölfin im Schafspelz, die ihren ahnungslosen Kollegen und das Publikum an der Nase herumführt. So mutig ist Nichts als die Wahrheit (2) dann doch nicht geworden – vor allem hinten raus aber rasant und unterhaltsam.
Bewertung: 7/10
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