Folge: 1253 | 10. Dezember 2023 | Sender: WDR | Regie: Till Franzen
Mythomanisch.
Das megapopuläre Ermittlerduo aus Münster bekommt es in dieser Krimikomödie nämlich mit einem Lügenbaron zu tun, der in seiner Mythomanie praktisch pausenlos phantasiert und sich die Wahrheit stets so zurecht biegt, wie er sie gerade braucht: Horst „Hotte“ Koslowski (Detlev Buck), der es unter dem Künstlernamen Stan Gold zum gefeierten Star-Autor gebracht hat, ist nach jahrelanger Abstinenz in seine westfälische Heimatstadt zurückgekehrt. Der Ex-Mitschüler von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) wird feierlich zum 1. Stadtschreiber ernannt und bezieht eine Wohnung am
Prinzipalmarkt, die – natürlich – Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) gehört. Kurz darauf wird ein Mordanschlag mit Bienengift auf Koslowski verübt.
Eine Ausgangslage, wie sie typisch für den Tatort aus Münster ist: Bei weitem nicht zum ersten Mal besteht zu einem Opfer oder Tatverdächtigen ein freundschaftliches oder verwandtschaftliches Verhältnis. Und einmal mehr gibt das Boerne die Gelegenheit, einem neuen Hobby zu frönen: War es in
Das ewig Böse die Zauberkunst, in
Ein Fuß kommt selten allein das Tanzen oder in
Fangschuss die Jagd, ist es diesmal das Schreiben eines True-Crime-Romans. Von Golds überzeichneter PR-Agentin Sabina Kupfer (Eva Verena Müller) wegen seiner Erfahrung mit ausgefallenen Todesfällen angefixt, bezieht Boerne spontan ein Landhaus, das sich später als Safe House der Kripo entpuppt, in dem die Fäden des Kriminalfalls zusammenlaufen. Klar.
Mechthild Großmann, der in der Rolle der charismatischen Staatsanwältin Wilhelmine Klemm diesmal mehr Kamerazeit als Herbert „Vaddern“ Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) vergönnt ist, adelte den Tatort bei der Vorpremiere auf dem
Festival des deutschen Films für seinen originellen Namen:
Der Mann, der in den Dschungel fiel sei für sie der interessanteste und beste Titel aller bisherigen Folgen aus Münster. Man möchte nicht widersprechen, aber hinzufügen: Der Krimititel, der sich aus einem Flugzeugabsturz Stan Golds über dem paraguayischen Dschungel und einem Aufenthalt bei einem indigenen Volk ergibt, ist leider auch schon das originellste an diesem über weite Strecken formelhaften und enttäuschenden Tatort.
Die Tätersuche gestaltet sich nur anfangs knifflig: Neben Golds Agentin und Gold selbst kommen auch seine Ex-Frau Gisela (Nicole Johannhanwahr,
Kein Mitleid, keine Gnade) und vor allem deren neuer Mann Jürgen (Thomas Fehlen,
Gefangen) als potenzielle Attentäter infrage. Mit zunehmender Spieldauer offenbart sich aber unverhohlen, dass der Fall als Räuberpistole angelegt ist. Entsprechend kalt lassen die Mordanschläge, denen sich Stan Gold in diesem Tatort ausgesetzt sieht. Und auch der Wortwitz will selten zünden.
GOLD:
Das ist der netteste und friedlichste Mensch, den ich kenne. Der könnte keiner Fliege was zuleide tun.
THIEL:
Aber vielleicht ja einer Biene?
Der Mann, der in den Dschungel fiel ist trotz der prominenten Besetzung der Episodenhauptrolle mit Kinoregisseur Detlev Buck (
Alles kommt zurück) keine wirklich gelungene Tatort-Folge aus Münster – aber diesmal nicht, weil sie wie
Das Wunder von Wolbeck mit infantilem Fäkalhumor oder wie
Propheteus mit albernen Alien-Abstrusitäten die Bodenhaftung verloren hätte. Sie wirkt wie eine vertane Chance, weil sie kaum etwas wagt. Die Geschichte aus der Feder von Thorsten Wettcke (
Des Teufels langer Atem) plätschert unter Regie von Till Franzen ohne Spannung, aber auch ohne große Gagsalven vor sich hin. Was hätte man aus Stan Gold für einen exzentrischen Paradiesvogel machen können – wir erleben den flunkernden Südamerika-Rückkehrer aber eher als brave Blaumeise.
Hobby-Autor Boerne schenkt seiner Berufung als Rechtsmediziner derweil keine Aufmerksamkeit, so dass Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) den Laden schmeißt und in Abwesenheit ihres eitlen Chefs den Tathergang rekonstruiert – das kennen wir schon. Thiel droppt beliebige Lines zum FC St. Pauli, während „Vaddern“ Taxi fährt und die x-te Drogengeschichte erzählt – alles wie immer. Millionen wollen das sehen. Und Nadeshda-Krusenstern-Nachfolger Mirko Schrader (Björn Meyer), den Thiel aus irgendeinem witzlosen Grund oft „Schraderchen“ nennt? Der gibt vorm Spiegel den
Taxi Driver Travis Bickle und muss den 1253. Tatort hinten raus geschminkt der Lächerlichkeit preisgeben – ganz ähnlich war das bei seiner Kung-Fu-Einlage in
Rhythm and Love.
Wenngleich die Einschaltquoten stimmen, sind die Fälle aus Münster im Jahr 2023 nur noch Malen nach Zahlen, und auch die obligatorische Tatort-Leiche nach einer guten Filmstunde wird nach Schema F in diesen Schmunzelkrimi eingebaut. Eine Täterin, die wie aus dem Nichts auf- und abtaucht, ein um Hunde angereichertes Alibi-Konstrukt, das Alfred Hitchcock in
Der Fremde im Zug schon vor 72 Jahren erzählt hat: Man sieht es und vergisst es wieder. Zumindest ist
Der Mann, der in den Dschungel fiel aber keine dieser Folgen, die man schon nach Minuten entnervt abschalten möchte.
Bewertung: 4/10
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