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Frankfurter Gold

Folge: 6 | 4. April 1971 | Sender: HR | Regie: Eberhard Fechner

Bild: HR/Kurt Bethke

So war der Tatort:

Seiner Zeit voraus – und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Das beginnt schon beim Zeitpunkt der Erstausstrahlung: Die erste vom Hessischen Rundfunk produzierte Tatort-Folge basiert auf dem wahren Kriminalfall des Betrügers Joachim Blum, der in den 1960er-Jahren illegale Geschäfte mit vergoldeten Bleibarren machte. Blum wurde im Mai 1973 – also gut zwei Jahre nach der TV-Premiere des Krimis – wegen Betrugs und Urkundenfälschung angeklagt. Als der Film im April 1971 über die Bildschirme flimmerte, war der Fall aber juristisch noch gar nicht abschließend aufgearbeitet, was einen Skandal nach sich zog.
Das hinderte Regisseur und Drehbuchautor Eberhard Fechner jedoch nicht daran, die Geschichte um das titelgebende Frankfurter Gold für den HR detailgetreu nachzuerzählen und so praktisch inoffizielle Ermittlungsergebnisse zu schildern. Wie DER SPIEGEL berichtete, hatte sich Fechner im Vorfeld der Dreharbeiten sogar mit Blum getroffen und dessen Einlassungen auf Tonband festgehalten. Nur die Namen der Protagonisten sowie die Schadenssumme wurden in der Endfassung verändert.
Aber auch filmisch geht die sechste Tatort-Folge unkonventionelle Wege und gilt als früher Vorreiter vieler innovativer und streitbarer Folgen aus Hessen. Frankfurter Gold unterwandert gekonnt die Normen der Krimireihe und kommt nicht etwa im gewohnten Gewand eines fiktiven Fernsehspiels daher, sondern erweckt gezielt den Eindruck einer realitätsnahen Dokumentation. Nicht einmal eine Leiche gibt es in diesem Tatort – anders als im ostdeutschen Polizeiruf 110 ist das in der westdeutschen Krimireihe eine seltene Ausnahme.
Schon der Auftakt ist bemerkenswert: Der vornamenlose Frankfurter Kommissar Konrad (Klaus Höhne), der nur eine untergeordnete Rolle spielt (!) und über den wir im weiteren Verlauf des Films praktisch nichts Berufliches und Privates erfahren, lässt sich bei seinem ersten Fall in einem Archiv die Akte von Johannes Stein reichen. Er geht damit auf die Kamera zu, wendet sich in bester Bert-Brecht-Manier ans Fernsehpublikum und durchbricht die Vierte Wand mit einem süffisanten Kommentar.

KONRAD:
Hoffentlich haben Sie mehr Spaß dabei als ich.


Beispiele für dieses Prinzip gibt es in der Krimireihe später noch häufiger – etwa im stilistisch sehr ähnlichen Bremer Tatort-Meilenstein Ein ganz gewöhnlicher Mord von 1973 oder im Wiesbadener Meta-Meisterwerk Im Schmerz geboren von 2014. Die in der Folge von der Kamera eingefangenen und von Stimmen aus dem Off kommentierten Fotos und Dokumente der Akte wirken hingegen wie ein vorgezogener Auszug aus der Gerichtsverhandlung. Auch Kommissar Konrad kann sich eine Spitze auf die langsam mahlenden Mühlen der Justiz nicht verkneifen.
Die Handlung ist indes schnell erzählt: Der schon früh mit krimineller Energie und (wie die meisten Figuren) mit markantem hessischen Dialekt sprechende Bankkaufmann Johannes Stein (Michael Gruner) schmiedet mit Hilfe des vorbestraften Metallarbeiters Günther Ackermann (Hans Christian Blech) den Plan, falsche Goldbarren herzustellen und diese als angebliche Sicherheit einer Schweizer Bank wohlhabenden Interessenten – darunter die Familie des mit Stein befreundeten Holzhändlers Jean Wimper (Fritz Rasp) – zu günstigen Konditionen anzubieten. Als Gegenleistung kassiert Stein hohe Geldsummen sowie Wertanlagen. Ein klassisches Betrugssystem, dessen Entstehung und Zusammenbruch so detailliert wie fesselnd in teils minutenlangen Sequenzen illustriert wird.
Retrospektive Einstellungen, in denen sich die Beteiligten über Stein äußern, etwa die Kegelbrüder Preuss (Rolf Schimpf, Bienzle und der steinerne Gast) und Teufel (Günter Strack, Schattenboxen), erinnern zwar ein wenig an das ZDF-Format Aktenzeichen XY … ungelöst, der Figurenzeichnung sind sie aber sehr dienlich. Der hohe Glaubwürdigkeits- und Unterhaltungsfaktor resultiert auch aus der Tatsache, dass die Filmemacher während der Produktion auf zwei „Experten“ zurückgreifen konnten. So wurde der Chef der Frankfurter Kripo, Albert Kalk, ebenso als Berater hinzugezogen wie Blums Komplize Helmut Enders, dessen einstige Goldbarren-Fälscherwerkstatt im Taunus sogar als Drehort diente.
Wohl nicht zuletzt deswegen beantragte Blums Anwalt zwei Tage vor Sendetermin eine einstweilige Verfügung, um die Ausstrahlung des Films zu verhindern und seinen Mandanten vor einer öffentlichen Vorverurteilung zu schützen. Das Vorhaben war aber ebenso wenig von Erfolg gekrönt wie die nach der Veröffentlichung verlangte Unterwerfungserklärung, nach der Frankfurter Gold nie mehr hätte gesendet werden dürfen und damit ein Fall für den Giftschrank geworden wäre.
Glücklicherweise kam es anders, denn ungeachtet des medialen Wirbels und des Rechtsstreits zählt der erste Konrad-Tatort zu den ganz frühen Highlights der Krimireihe. Mit der stimmigen Inszenierung, dem spielfreudigen Ensemble sowie der mutigen und eigenwilligen Umsetzung des Stoffes verdient sich die Episode eindeutig das Prädikat „herausragend“ – zieht im direkten Vergleich mit dem noch einen Tick besseren Tatort-Meilenstein Ein ganz gewöhnlicher Mord aber den kürzeren.
Bewertung: 9/10

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