Folge 1283
8. Dezember 2024
Sender: Radio Bremen
Regie: Sebastian Ko
Drehbuch: Daniela Baumgärtl, Kim Zimmermann
So war der Tatort:
Nächtlich, aber nicht still.
Der Bremer Tatort Stille Nacht, sein Krimititel deutet es an, erzählt nämlich von einem Mord in der Weihnachtsnacht – doch geht es in dieser Nacht am Ort des Geschehens nicht ruhig, besinnlich und harmonisch, sondern laut, emotional und feuchtfröhlich zur Sache. Und vor allem: tödlich. Der Kapitän Hendrik Wilkens (Matthias Freihof, Im Netz der Lügen) wird am Heiligabend im Kreise seiner Liebsten, die ein Stockwerk höher ahnungslos weiterfeiern, in seinem Arbeitszimmer von einem unbekannten Täter erschossen.
Am Morgen danach stehen die Ermittlerinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram), die in diesem Tatort erstmalig von Rechtsmedizinerin Edda Bingley (Ex-Popstar Helen Schneider, Borowski und die Sterne) unterstützt werden, vor seiner Leiche und einem Rätsel. Wer hat den vielbeschäftigten Ehemann und Vater, der es so selten an den Feiertagen nach Hause schaffte, auf dem Gewissen? Mit dem abgelegenen Landhaus der Wilkens betreten Moormann und Selb ein klassisches Cluedo-Setting, wie wir es aus Krimis von Agatha Christie kennen und wie es 2022 auch der grandiose Weihnachtstatort Mord und Misteln ironisch zelebrierte.
Stille Nacht hätte statt zum 2. Advent 2024 auch hervorragend zum 2. Weihnachtstag gepasst: Schon in der Auftaktsequenz schmettern die Wilkens, die den philippinischen Matrosen „Andy“ (Jernih Agapito) bei sich aufgenommen haben, die Karaoke des fiesen Wham!-Ohrwurms Last Christmas durch den Krimi. Ein Song, der wie kaum ein zweiter polarisiert, und überhaupt kommt der 1283. Tatort so gar nicht als stimmungsvolle Liebeserklärung an das Fest der Liebe daher. Vielmehr lassen Moormann und Selb, beide ohne echte Familie, praktisch keine Gelegenheit aus, um über weihnachtliche Gebräuche und familiäre Pflichten zu lästern. Etwa in dem Moment, in dem Selb über den Einsatzplänen des toten Kapitäns brütet.
Einem Whodunit nach Agatha-Christie-Manier entsprechend gestaltet sich der Kreis der Verdächtigen so überschaubar wie der Schauplatz: Neben Wilkens‘ Ehemann Bjarne (Rainer Sellien, Aus dem Dunkel), den er nach dem Tod seiner krebskranken Frau geheiratet hat, kommen weitere Familienmitglieder für die Täterschaft infrage. Da ist die suizidgefährdete Tochter Fabienne (Pia Barucki), die auch mal Kapitänin werden wollte. Sohn Marco (Robert Höller, Schattenleben), der als Förster arbeitet, und seine Frau Nahid (Rana Farahani, Borowski und das verlorene Mädchen), mit der er gerade Nachwuchs bekommen hat. Und natürlich Matrose Andy, der in Wahrheit Jomel Malinao heißt und sich bald absetzt.
Die Bremer Ermittlerinnen pendeln in diesem recht konventionell arrangierten Krimi aus der Feder der Drehbuchautorinnen Daniela Baumgärtl (National feminin) und Kim Zimmermann pausenlos zwischen dem prachtvoll dekorierten Landhaus und dem weniger stilvoll geschmückten Präsidium – sieht man mal davon ab, dass Linda Selb sich für einen Abend unter feierwütige Matrosen mischt und Liv Moormann ihrer Schwester Marie (Luisa Böse) einen Besuch abstattet, die nach ihrer Verhaftung in Donuts in der JVA der Hansestadt einsitzt. Verdächtige werden befragt, Theorien zum Tathergang (auch visuell) durchgespielt, und Selb darf sich über eine 360-Grad-Kamera freuen, dank der sie den Fundort der Leiche detailliert untersuchen kann.
So richtig überspringen will der Funke unter Regie von Sebastian Ko (Cash) allerdings nicht: Statt Moormann und Selb die Vorgeschichte der Tat akribisch recherchieren zu lassen, wird sie nach einer plötzlichen Erleuchtung einfach präsentiert und im Anschluss häppchenweise nachgereicht. Auch einem Realitätsabgleich hielte der spannungsarme Tatort kaum stand: Kripo-Kollege Christian Spethmann (erstmalig in dieser Rolle dabei: Alexander Swoboda, Blut) telefoniert sich etwa im Präsidium die Finger wund, um ein Unfallfahrzeug zu recherchieren – und hat angesichts der Tatsache, dass in Kfz-Werkstätten während der Weihnachtsfeiertage wohl selten jemand den Hörer abnimmt, eine sehr bemerkenswerte Erfolgsquote.
Zumindest aber überzeugt der Cast, und auch die Täterfrage gestaltet sich knifflig: Jeder und jede der Verdächtigen bringt ein nachvollziehbares Motiv und eine Gelegenheit für die Tat mit, so dass die Auflösung erfreulicherweise bis in die Schlussminuten offen bleibt. Ansonsten werden von Stille Nacht aber vor allem die vielen ironischen Spitzen gegen Weihnachten in Erinnerung bleiben, die so manchem Weihnachtshasser aus der Seele sprechen dürften.
Bewertung: 5/10
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