Folge 1302
27. April 2025
Sender: BR
Regie: Nina Vukovic
Drehbuch: Robert Löhr
So war der Tatort:
Denksportlich.
Denn ähnlich wie der gefeierte Netflix-Hit The Queen’s Gambit entführt uns der viertletzte Tatort mit den Münchner Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), die 2026 in den wohlverdienten Tatort-Ruhestand eintreten (weitere Informationen), in die Welt des Schachsports: Bei einem hochkarätig besetzten Kandidatenturnier in einem schmucken Alpenhotel (gedreht wurde der Krimi auf Schloss Elmau) wetteifern sieben Männer und eine Frau am Spielbrett mit den 64 schwarz-weiß-karierten Feldern vor Live-Publikum um die Weltmeisterschaft.
Unter den begeisterten Zuschauerinnen und Zuschauern befindet sich auch eine Person, die den bayrischen Tatort-Kommissaren seit 2014 schon siebzehn Mal unter die Arme griff: Dr. Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) ist passionierter Schachspieler und hat eines der begehrten Tickets für die Finalrunde ergattern können. Der Rechtsmediziner, der einst mit Jungspund Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) im Münchner Meilenstein Am Ende des Flurs debütierte, ist als Schachexperte auch bei den Ermittlungen im Mordfall mittendrin statt nur dabei – was zur Folge hat, dass Hammermann anfangs wie das fünfte Rad am Wagen wirkt.
Während sich die Schachprofis um das aufreizende französische Enfant terrible (Natalie Laurent (Roxane Duran), die als einzige Frau im Turnier eine Wildcard erhalten hat, und den amerikanischen Favoriten Theodore „Teddy“ Boyle (Maximilian Befort) im Denksport duellieren und ihren Gegnern gedanklich einen Zug voraus zu sein hoffen, bekommen auch wir eine knifflige Nuss zum Enträtseln serviert: Einleitend stürzt die armenische Großmeisterin Lilit Kayserian (Sabrina Schieder), die Laurent als Sekundantin unterstützte, von der Hotelterrasse in den Tod. Es folgen weitere Anschläge – und wir müssen den Täter finden.
Zugzwang ist damit ein Whodunit aus dem Lehrbuch: Drehbuchautor Robert Löhr, der bereits Königinnen und den wunderbaren Weihnachtskrimi Mord unter Misteln arrangierte, setzt auf ein mikrokosmisches, von der Außenwelt sogar per Störsender abgeschirmtes Agatha-Christie-Setting, in dem der Mörder oder die Mörderin zwingend aus der Reihe der im Hotel anwesenden Personen stammen muss. Zugleich bedient er sich zweier Motive, die wir aus Serienkiller-Thrillern kennen: Bei jedem Opfer platziert der Täter nämlich eine Schachfigur, die die Morde in Zusammenhang bringen – und auch die Tarot-Karte „Der Turm“, auf der eine Frau in den Tod stürzt, suggeriert eine esoterische Verbindung.
Mit dem frauenfeindlichen Schachpräsidenten Kamran Hasanov (Husam Chadat, Kein Mitleid, keine Gnade), seinen Leibwächtern Aziz (Elwin Chala) und Timur (Bardo Böhlefeld) oder Turnierleiter Lars Kändler (Robert Dölle, Der sanfte Tod) und Assistentin Sophie Jeong (Felicia Chin-Malenski) geben sich die Tatverdächtigen die Klinke in die Hand – und überhaupt spielen Türklinken, auf die sich tödliches Nervengift streichen lässt, im 1302. Tatort eine tragende Rolle. Während die Parallelen zum Anschlag auf Sergei Skripal in die Dialoge einfließen und etwas zeitgeschichtliches Wissen voraussetzen, sind Kenntnisse über das Schachspielen nicht zwingend erforderlich.
Spätestens auf der Zielgeraden, auf der der 97. Tatort mit Batic und Leitmayr ähnlich wie der Münchner Gaming-Tatort Game Over von 2023 in die Sportfilmdramaturgie übergeht, schaden sie aber auch nicht – und überhaupt gibt es wenig, was dem Vergnügen Abbruch tut. Sicher, Figuren wie der aserbaidschanische „Dinosaurier“ Hasanov als Prototyp eines alten, weißen Mannes oder der von Ehrgeiz zerfressende, Vitamine schluckende Boyle sind zwar Abziehbilder von Charakteren, die wir in Film und Fernsehen schon häufig gesehen haben – unterm Strich schmälert das den Krimispaß aber nur wenig.
Zudem platzieren die Filmschaffenden im Mittelteil einen Schockmoment im Drehbuch, der an den vielgelobten Münchner Tatort Der tiefe Schlaf erinnert und dem Fadenkreuzkrimi plötzlich die Gemütlichkeit nimmt – allein die Reaktion der Betroffenen auf den schrecklichen Zwischenfall wirken ein wenig aufgesetzt. Weitere Schönheitsfehler kommen hinzu: Die Auflösung der Täterfrage ist zwar ebenfalls eine faustdicke Überraschung, das Tatmotiv hingegen nicht ganz glaubwürdig. So schießt der ansonsten tolle Tatort auf der Zielgeraden etwas über sein Ziel hinaus – eine Nummer kleiner hätte es auch getan.
Dennoch ist Zugzwang eine weitere, sehr gelungene Folge aus der bald endenden Ära mit Batic und Leitmayr: Der BR setzt mit dem Schach nicht nur auf ein unverbrauchtes Thema, sondern auch auf frische, weil in der Krimireihe selten besetzte Gesichter. Die Französin Roxane Duran sticht aus der erstklassigen Besetzung in ihrer Rolle als hochintelligente, populäre und bis zum Finale undurchsichtige Schachsportlerin noch heraus. Nicht von ungefähr gehört ihr auch die rätselhaft angehauchte Schlusspointe, die wir hier näher erläutern.
Bewertung: 7/10
Erklärung: Was hat es mit den Schachfiguren auf sich?
Abschied: Wer beerbt Batic und Leitmayr im Münchner Tatort?
Ausblick: Dieser Krimi läuft am nächsten Sonntag
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