Folge 1318
14. Dezember 2025
Sender: ORF
Regie: Harald Sicheritz
Drehbuch: Roland Hablesreiter, Petra Ladinigg
So war der Tatort:
Cluedo-ähnlich.
Und das nicht nur, weil Der Elektriker nach klassischem Agatha-Christie-Bauplan konstruiert ist und fast 90 Minuten in einem Mikrokosmos spielt, in dem die Mordmotive zusammenlaufen und nahezu alle Verdächtigen rund um die Uhr versammelt sind: Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die in Abwesenheit ihres Vorgesetzten „Ernstl“ Rauter (Hubert Kramer) von Kriminalassistentin Meret Schande (Christina Scherrer) und Gerichtsmediziner Prof. Werner Kreindl (Günter Franzmeier) unterstützt werden, bauen den Tatort, die angrenzenden Räume und alle Wegstrecken als dreidimensionale Cluedo-Variante im Präsidium nach. Und verhelfen so auch dem TV-Publikum zu mehr Übersicht.
Eine zwar simple, aber visuell originelle Idee, die turbulenten und tödlichen Ereignisse im Alten- und Pflegeheim „Haus Laetitia“ für die Kamera neu aufzubereiten: Pfleger Horst Windisch (Michael Edlinger, Glück allein) hievt einleitend den garstigen Rentner Danijel Filipovic (Roman Frankl, Das Archiv) per Hebelift in die Badewanne, als der Feueralarm losschrillt. Heimbewohner Fritz (Johannes Silberschneider, Paradies) hat verbotenerweise im Zimmer geraucht. Kurz darauf fällt im ganzen Haus auch noch der Strom aus. Weil das Heim personell unterbesetzt ist, lässt Windisch Filipovic in der Badewanne allein, um den Alarm zu deaktivieren und den Sicherungskasten aufzusuchen. Als er ins Bad zurückkehrt, ist der gehbehinderte Mann in der Wanne ertrunken. Tragischer Unfall oder heimtückischer Mord?
Das gilt es für Eisner und Fellner herauszufinden, und auf dem Weg zur kniffligen Auflösung des Whodunits thematisieren die Filmschaffenden natürlich den Pflegenotstand, der in der Alpenrepublik genauso grassiert wie in Deutschland: Ähnlich wie im Ludwigshafener Tatort Schöner sterben von 2003, im Kölner Tatort Hundeleben von 2004 oder im Bremer Tatort Im toten Winkel von 2018 rücken Regisseur Harald Sicheritz und das Drehbuchautorenduo Roland Hablesreiter und Petra Ladinigg die hohe Belastung des überbeschäftigten und unterbezahlten Personals in den Blickpunkt. Ihren Kriminalfall verlieren sie aber nie aus dem Blick, Der Elektriker bleibt stets ein Krimi und ist trotz des erhobenen Zeigefingers kein aufwühlendes Pflegedrama.
Wer genau hinsieht, erhält schon in den Anfangsminuten wertvolle Hinweise auf die Umstände, die später noch einmal wichtig werden – etwa eine Fönfrisur oder ein zufälliger Rempler auf dem Flur. Auch Eisner sieht genau hin und entdeckt im Zimmer des Ermordeten ein Objekt, das die frühere Profession des Ermordeten dick unterstreicht: Im Schrank des Toten liegt ein Phasenprüfer. Der Elektriker trägt seinen Namen nicht von ungefähr und schlägt, angesichts des Nachnamens Filipovic nicht überraschend, den gleichen Bogen, der wenige Wochen zuvor bereits im bärenstarken Frankfurter Tatort Dunkelheit geschlagen wurde, in die Zeit der Jugoslawienkriege. Hier liegt der Schlüssel zur doppelbödigen Auflösung, aber nicht nur hier.
Denn da sind viele potenzielle Täterinnen und Täter, die den Toten auf dem Kieker hatten: Seine Tochter Linda Filipovic (Gabriela García-Vargas), deren vegane Bäckerei Verluste einbringt, der Fußpfleger Ivica Kjuric (Aleksandar Petrovic, Her mit der Marie!), der ebenfalls aus Jugoslawien stammt, und auch die Diplomschwester Patricia Quiambao (Nina Fog), die im Heim lange Finger macht. Allein ihr Kollege Horst Windisch drängt sich so gar nicht als Mörder auf – werden wir einleitend doch Zeuge seiner panischen Reanimationsversuche. Der halbherzige Handlungsschwenk ins Milieu von Sex-Arbeiterin Romana (Claudia Kottal, Sternschnuppe) darf bei der Tätersuche wenig überraschend ebenso vernachlässigt werden.
Eisner und Fellner, die 2026 zum letzten Mal im Austro-Tatort ermitteln werden, schlagen sich bei ihrem drittletzten Einsatz gewohnt bravourös: Allein die Sequenz, in der sich Eisner mit stockfinsterer Miene zur Rekonstruktion des Tathergangs in den Hebelift hängt und dafür angemessen spöttische Blicke von seiner feixenden Kollegin erntet, ist das Einschalten wert. In solchen Momenten wird auf schmerzliche Weise deutlich, wie sehr die beiden der Krimireihe fehlen werden, wenngleich die mit Wiener Schmäh durchsetzten Neckereien diesmal nicht auf die Spitze getrieben werden. Eisner begegnet dafür – kein sonderlich einfallsreiches Manöver – im Pflegeheim einer Verflossenen: Anders als er ist die selbstironische Sandra (Martina Spitzer, Abgründe) pflegebedürftig, einst wäre sie fast mit ihm durchgebrannt.
Dass Fellner und Eisner sich im 1318. Tatort in einem von Angehörigen gern gemiedenen Milieu bewegen (müssen), das vielen von uns später selbst einmal blüht, darf zugleich als ungeschönter Ausblick auf ihr eigenes Schicksal verstanden werden: Insbesondere der Chefinspektor sträubt sich anfangs hartnäckig gegen Nachforschungen im Haus Laetitia und würde das Heim am liebsten direkt wieder verlassen. Vielleicht pflegt ihn später ja einmal seine Tochter Claudia (Tanja Raunig), die in Wien nach jahrelanger Abstinenz zuletzt 2024 in Dein Verlust mit von der Partie war? Man darf gespannt sein, ob sie – so wie Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) – noch ein letztes Comeback an der Donau geben darf.
Bewertung: 6/10
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