Folge: 1032 | 22. Oktober 2017 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen |
So war der Tatort:
Selbsam.
Denn bei ihrem vierten Auftritt wirbelt BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) den Tatort aus Bremen erneut nach allen Regeln der Kunst durcheinander: Erst drückt sie dem verdutzten Gerichtsmediziner Dr. Katzmann (Matthias Brenner) einen Spontankuss auf, dann integriert sie irritierende Verkleidungs- und Schaukampfrituale in ihr Sexleben mit dem angemessen überraschten Hauptkommissar Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) – und am Morgen danach gesteht sie ihm neben dem One-Night-Stand mit einer Frau auch den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind.
Klingt ziemlich verrückt, und das ist es in der Tat: Zurück ins Licht ist der beste Beweis dafür, wie nah Licht und Schatten im Fadenkreuzkrimi aus dem kleinsten deutschen Bundesland seit Jahren beieinander liegen. Herausragenden Thrillern wie Brüder oder sensiblen Familiendramen wie Die Wiederkehr standen unfreiwillig komische Psychokisten wie Ordnung im Lot oder Er wird töten gegenüber – und leider fällt der 16. Tatort von Regisseur Florian Baxmeyer, der zuletzt die tolle Folge Nachtsicht inszenierte, eindeutig in die zweite Kategorie.
Wie schon in Er wird töten steht erneut eine psychisch labile Frau im Mittelpunkt: Die Pharmareferentin Maria Voss (Nadeshda Brennicke, Rendezvous mit dem Tod) hat sich nach einem Autounfall Zurück ins Licht gekämpft – steht nun aber unter Mordverdacht, weil sie in Kontakt zum ermordeten Pharmahändler Ole Bergener stand, dessen Leiche Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihre Kollegen aus der Weser ziehen. Voss klingt von Beginn an wie auf Drogen und gibt regelmäßig schräge Esoterik-Selbstgespräche zum Besten, die einer verwirrten Psychopathin deutlich besser zu Gesicht gestanden hätten als der toughen Karrierefrau, die sie zu sein vorgibt. Und auch sie hat ein Auge auf Stedefreund geworfen.
VOSS:
Willst du mit mir schlafen? Ist jetzt ganz ungünstig, ich hab morgen um 11 einen wichtigen Termin.
Vielleicht gaben Sabine Postel und Oliver Mommsen ihren Ausstieg aus der Krimireihe nicht von ungefähr nach den Dreharbeiten zu Zurück ins Licht bekannt: Der 1032. Tatort wartet zwar mit mutigen Dialogen auf, zählt aber zu den schwächsten und kuriosesten Krimis, die je an der Weser entstanden.
Man muss schon kürbisgroße Tomaten auf den Augen haben, um nicht zu bemerken, dass mit Voss etwas nicht stimmt – der Twist nach einer guten Stunde dürfte allenfalls die Kommissare überraschen und auch ihr Verhältnis zum Pharmahändler Carl Bellheim (Jörg Pose, Fünf Minuten Himmel) erklärt sich nach einem spontanen Handjob von selbst. Sorgte der in der Pornoszene spielende Münchner Tatort Hardcore zwei Wochen zuvor für laute Proteste, geht es mit der Freizügigkeit in Bremen munter weiter: „Zum Schluss war es lustig, wenn Porno-Mommsen nur im Bademantel und mit Adiletten zum Set kam“, ließ der nackt zu sehende Hauptdarsteller in einem Interview verlauten, und auch die Witwe Judith Bergener (Victoria Fleer) und Voss‘ Ex-Mann Peter Kappeler (Nicki von Tempelhoff, Schattenlos) fallen ohne Umschweife übereinander her.
Der Fall rückt oft in den Hintergrund, doch den schablonenhaften Figuren fehlt es auch am Unterbau: Warum zum Beispiel Kappeler plötzlich wieder von seiner Ex-Frau fasziniert ist und seine deutliche aufgewecktere Tochter Lotte (Emma Drogunova, Wir – Ihr – Sie) sogar zum Mittagessen mit ihr nötigt, bleibt vollkommen nebulös. Während Stedefreund und Selb mit sich selbst beschäftigt sind, bildet Lürsen den Ruhepol in diesem überambitionierten Psychothriller, bleibt aber die einzige Hauptfigur, deren Handeln uneingeschränkt nachvollziehbar ist.
Handwerklich birgt Zurück ins Licht, in dem die Drehbuchautoren Christian Jeltsch (Der hundertste Affe) und Olaf Kraemer ihre Ich-kämpfe-mich-zurück-ins-Leben-Geschichte mit einem halbgar ausgearbeiteten und alles andere als glaubwürdigen Pharmabetrug kombinieren, zudem erhebliche Schwächen: Bis zum Schluss sucht man den einheitlichen Erzählton vergeblich, denn seltsame Dialoge und ironisch angehauchte Provokationen wechseln sich pausenlos mit nachdenklichen Sequenzen ab.
Auch die Inszenierung wirkt künstlich und wird bisweilen vom Soundtrack konterkariert: Ein wummernder Beat erzeugt bei Tatort-Besichtigungen noch lange keine Dynamik – und die plötzlich aufjaulenden Chöre, die kurz nach der Auflösung noch schnell Dramatik in den Film singen sollen, hätten auch die Schlacht um Mittelerde im Fantasy-Epos Der Herr der Ringe angemessen vertont.
So tragisch ist der Abschied von Linda Selb, die hier nur vermeintlich zum letzten Mal im Bremer Tatort zu sehen ist, dann allerdings doch nicht.
STEDEFREUND:
Linda, wer bist du? Wer bist du wirklich?
SELB:Ich bin viele.
STEDEFREUND:
Sind vielleicht ’n bisschen viele für mich.
SELB:Leb wohl.
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