Folge: 954 | 6. September 2015 | Sender: SRF | Regie: Florian Froschmayer
Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler |
So war der Tatort:
Bemerkenswert brutal. Aufgeplatzte Schädel, Gehirnstückchen auf dem Asphalt und Blutlachen auf heimischen Ehebetten: Ihr werdet gerichtet ist eine der brutalsten Tatort-Folgen aller Zeiten und für die Prime-Time absolut grenzwertig.
Die Schweizer Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) bekommen es im ersten Tatort nach der Sommerpause 2015 mit einem Heckenschützen zu tun, und aus dessen Identität macht Drehbuchautor Urs Buehler (Skalpell) kein Geheimnis: Es handelt sich um Michael Kohlhaas-Verschnitt Simon Amstad (Antoine Monot, Jr., Puppenspieler), der in seiner Auto-Werkstatt an einem Scharfschützengewehr herumschraubt und den Titel von „Tech-Nicks“ letztem Tatort-Gastspiel zum Motto macht: Er wird töten. Der Autoelektroniker will Gerechtigkeit walten lassen, weil so mancher Luzerner Bürger in seinen Augen von der Schweizer Justiz nicht hart genug bestraft wurde.
Ein kühl kalkulierter und eiskalt vorgetragener Feldzug, der den Ermittlern lange Rätsel aufgibt: Außer den abgesägten Projektilen, in die Amstad Paragraphenzeichen eingraviert, hinterlässt der Täter keine brauchbaren Spuren. Für den Zuschauer stellt sich also nicht die Frage, wer hinter den Anschlägen steckt, sondern ob es Flückiger und Ritschard gelingen wird, den gewieften Killer am Ende zur Strecke zu bringen. Bei diesem prickelnden Wettlauf gegen die Zeit bewahrheitet sich einmal mehr die These, dass Tatort-Folgen, in denen der Täter von Beginn an bekannt ist (vgl. Weil sie böse sind, Der kalte Tod oder Borowski und der Engel), oft die besseren sind: Ihr werdet gerichtet ist bis dato der beste Tatort aus Luzern.
Beim SRF dachte man in den Wochen vor der TV-Premiere allerdings laut über einen Neuanfang nach – und wer wollte es dem Sender nach Rohrkrepierern wie Hanglage mit Aussicht oder Wunschdenken verübeln?
Für die auf der Abschussliste stehenden Kommissare ist ihr achter gemeinsamer Einsatz aber ein Bewerbungsschreiben für weitere Fälle – und nach dem durchwachsenen Vorgänger Schutzlos, der die schwächste Tatort-Einschaltquote seit 2010 einfuhr, eine kleine Kurskorrektur spürbar: Flückers Halluzinationen werden nicht mehr thematisiert, und vor allem der bis dato von allen Drehbuchautoren unerträglich überzeichnete Polizeikommandant Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) zeigt sich diesmal wie verwandelt. Statt den Ermittlern grundlos Knüppel zwischen die Beine zu werfen, stärkt er ihnen demonstrativ den Rücken. Das gestaltet sich zwar genauso hölzern wie die Synchronisation des Schweizer Krimis, aber bei weitem nicht so nervtötend wie seine letzen Tatort-Auftritte (insbesondere in Verfolgt).
Auch der Bösewicht überzeugt: Antoine Monot Juniors zurückgenommenes Spiel unterstreicht das
vordergründig hilfsbereite Naturell des
Teilzeit-Snipers, der sich zu Hause rührend um seine kranke Frau Karin (Sarah Hostettler) kümmert und schon in der nächsten Sequenz auf den Abzug drückt, ohne
mit der Wimper zu zucken.
Ihr werdet gerichtet ist ein atmosphärisch dichter Thriller mit kleinen Logiklöchern, der von einem stimmungsvollen Soundtrack vorangetrieben wird: Setzt die Musik überhaupt einmal aus, hat das
stets einen triftigen Grund. Als Amstad sich nach einer
brenzligen Situation in seinen Sessel plumpsen lässt und tief durchpustet,
weiß der Zuschauer sofort: Die Verschnaufpause des Killers ist nur ein retardierender Moment vorm dramatischen
Finale, in dem Regisseur Florian Froschmayer keine Gefangenen macht. Der Filmemacher weiß eben, wie’s geht: Mit Der Polizistinnenmörder schuf er eine der spannendsten Bodensee-Folgen aller Zeiten, und sein starker Berliner Tatort Edel sei der Mensch und gesund brachte Zündstoff in die Diskussion über das deutsche Gesundheitssystem.
Bleibt zu hoffen, dass seiner sechsten Tatort-Arbeit weitere folgen.
Schreibe einen Kommentar