Folge: 622 | 5. Februar 2006 | Sender: WDR | Regie: Rainer Matsutani
Bild: WDR/Michael Böhme |
So war der Tatort:
Meisterdetektivisch.
Über der 622. Tatort-Folge schwebt nämlich unverkennbar der Geist von Agatha Christie, der berühmten Autorin zahlreicher weltbekannter Krimi-Klassiker wie „Mord im Orient-Express“ oder „Das Böse unter der Sonne“ – ein Werk, dessen Titel dem der hier besprochenen Episode auffällig ähnelt und in dem Romanfigur Hercule Poirot dem Verbrechen wie so häufig auf der Spur ist.
Moment mal: Hercule Poirot? Ach ja, richtig! Ein stark von sich und seinen Fähigkeiten überzeugter belgischer Privatdetektiv mit stets makelloser Kleidung, dessen Egozentrik den steifen britischen Scotland-Yard-Chefinspektor häufig zur Verzweiflung treibt, ihm aber dennoch jedes Mal unschätzbare Dienste bei der Lösung seiner Fälle leistet. Kommt uns irgendwie bekannt vor, oder?
Es ist sicher kein Zufall, dass sich Regisseur und Drehbuchautor Rainer Matsutani (Tödliche Tarnung) bei seinem Tatort-Debüt für das Team aus Münster entschieden hat. Immerhin sind der mürrische Kriminalhauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und der eitle Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) geradezu prädestiniert für einen humorvoll angereicherten Fadenkreuzkrimi ganz nach Agatha-Christie-Art.
Bei ihrem neunten gemeinsamen Einsatz bekommen es die beiden dann auch mit einem ganz speziellen Mord zu tun, bei dem das Herz des einmal mehr blendend aufgelegten Pathologen und Agatha-Christie-Fan („Er hat alle Bücher von ihr!“) direkt höher schlägt.
BOERNE:Jetzt fängt die Sache an, spannend zu werden. Ein raffinierter Giftmord. Schätze, wir haben hier einen echten Klassiker.
Boerne ist es auch, der bei der Suche nach dem Mörder von Franz Stettenkamp, Patriarch einer Keks-Dynastie, die ganz große Bühne bekommt. Und das schon direkt zu Beginn, als er bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Polizei – tatkräftig unterstützt von Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) und in Anwesenheit von Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) – seine Fähigkeiten als Hobby-Magier unter Beweis stellen darf. Hierbei entlockt er versehentlich der hypnotisierten Helena Stettenkamp (wunderbar undurchsichtig: Teresa Weißbach), der Enkeltochter des Verstorbenen, Zeugin des Mordes an ihrem Großvater gewesen zu sein.
Wer aber Franz Stettenkamp, der vor seinem Tod offenbar hinter ein dunkles Familiengeheimnis gekommen war und seine gesamte Sippschaft enterben wollte, das Gift in Form von firmeneigenem Konfekt verabreicht hat, bleibt lange Zeit offen. Dafür wird schnell klar – Agatha Christie hätte es gefallen – dass der Mörder nur aus der Familie selbst stammen kann.
Schließlich waren alle Angehörigen am Morgen des Mordes vor Ort und so kommt praktisch jeder in Frage: Enkel und Lebemann Boris Stettenkamp (herrlich provokant: Aleksandar Jovanovic, Gott ist auch nur ein Mensch), den sein Opa aus der Firma werfen wollte, ist ebenso verdächtig wie Sohn Cornelius Stettenkamp (Jürg Löw, Direkt ins Herz) als neues Familienoberhaupt und dessen herrische Frau Sieglinde (Karoline Eichhorn, Murot und das Prinzip Hoffnung). Und nicht zu vergessen: Dr. Frederick Pleikart (Martin Rentzsch, Hinter dem Spiegel), den das Opfer vor seinem Tod wegen Unterschlagung angezeigt hatte.
BOERNE:Bei Agatha Christie würde jetzt Hercule Poirot die Verdächtigen um sich scharen und in brillanter Manier den Täter überführen.
Dass die Tätersuche bis zum Schluss spannend bleibt und auch die Auflösung überraschend ausfällt, zählt zu den großen Stärken des Films. Auch das Zusammenspiel zwischen Thiel und Boerne, dem es dieses Mal aus bereits genannten Gründen vorbehalten ist, durch geschickte Recherchen, zügige Obduktionsergebnisse und treffende Schlussfolgerungen den Fall entscheidend voranzubringen, funktioniert blendend und sorgt für den einen oder anderen Schmunzelmoment. Beispielhaft sei hier die Sequenz am Ende des Films angeführt, als Thiel im Stile Poirots alle Tatverdächtigen zusammenbringt, um den Täter zu entlarven, in diesem Moment dem Herrn Professor aber ausnahmsweise so ein klein wenig die Show stiehlt.
Matsutani verzichtet zudem auf überflüssige Nebenhandlungsstränge aus dem Privatleben der Ermittler und sorgt dadurch dafür, dass der Fall nicht aus dem Fokus gerät. Lediglich Thiels Disput mit seinem Erzeuger Herbert „Vaddern“ Thiel (Claus Dieter Clausnitzer), der zur Abwechslung mal nicht allein auf sein Image als kiffender Alt-68er reduziert wird, dafür aber das Ersparte seines Sohnes in illegale Pferdewetten investiert (ob das jetzt so viel besser ist?), bildet hier die Ausnahme. Andererseits, irgendwie wollen ja auch die Nebenfiguren untergebracht werden.
Und genau an dem Punkt schwächelt der ansonsten so schwungvoll inszenierte Film. Kommissar Zufall ist sehr präsent. Dass Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), die diesmal verhältnismäßig wenig Kamerazeit zugestanden bekommt, einen zu Beginn abgestürzten Drachenflieger aus einem Praktikum bei der Drogenfahndung kennt – geschenkt. Auch dass Boerne auf einem Foto seine alte Grundschullehrerin Zita Keller (Christel Peters, Geschlossene Akten) entdeckt, die natürlich auch mit dem Fall zu tun hat – akzeptiert. Aber dass „Vaddern“ Thiel dann auch noch mit einem Verdächtigen befreundet ist und diesen im Taxi herumgefahren hat, ist dann doch zu viel des Guten. Gibt es in Münster denn nur drei Taxen?
Nimmt man es mit der Realitätsnähe nicht so genau, bleibt dennoch ein unterhaltsamer Krimi, bei dem Fans des beliebten Duos voll auf ihre Kosten kommen. Die Dialoge sitzen und die Gags werden vom bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzten Cast nicht überstrapaziert. Das ewig Böse zählt unterm Strich zu den frühen und damit eindeutig besseren Fällen aus Münster.
Bewertung: 7/10
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