Folge: 607 | 25. September 2005 | Sender: Radio Bremen | Regie: Thorsten Näter
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg |
So war der Tatort:
Expressionistisch.
Denn schon die spektakuläre Schwarz-Weiß-Rückblende zu Beginn zeigt, dass Requiem kein gewöhnlicher Krimi ist: Der Bremer Unternehmer Gerd Wahlberg (Wolfram Koch, ab 2015 als Hauptkommissar Paul Brix im Frankfurter Tatort zu sehen) flieht vor einem Unbekannten und wird in seinem Space Park erschossen.
Doch anders als sonst wirft der Mord an Wahlberg keine Fragen auf: Die Indizien gegen seinen Bruder Ludwig (Thomas Limpinsel, Lastrumer Mischung) sind erdrückend. Gerade das weckt aber das Misstrauen von Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) – dann explodiert plötzlich eine Autobombe und die „berühmte Kommissarin“ ist tot.
Ernsthaft?
Wenngleich ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) und ihre Tochter Helen Reinders (Camilla Renschke) auf der Beerdigung ein paar Tränen verdrücken, erwacht Lürsen nach ihrem vermeintlichen Ableben nicht etwa auf einer Wolke, sondern im sterilen Inneren des stillgelegten Parks – und zwar in der Gewalt eines Serienkillers.
Und was könnte es Schöneres geben als ein Candlelight-Dinner mit dem durchgeknallten Rechtsmediziner Martin Lohmann (Thomas Thieme, Willkommen in Köln), der sein letztes „Meisterstück“ für Lürsen inszeniert – inklusive einer von Ulrich Wickert moderierten Live-Schalte zur eigenen Beerdigung und lasziver Abendgarderobe?
LÜRSEN:
Wenn Sie glauben, dass ich das anziehe, dann sind sie verrückt!
In Anbetracht der Lage schmeißt sich die norddeutsche Mutti tapfer in den roten Fummel und liefert sich in der Folge ein Katz-und-Maus-Spiel mit Psychopath Lohmann, während Stedefreund durch ein perfides Komplott ins Visier der internen Ermittler gerät – ihm bleiben nur der Alkohol, Kriminalassistent Karlsen (Winfried Hammelmann) und Helens Mitbewohnerin Silke (Oona-Devi Liebich, Undercover), mit der zusammen der geschasste Outlaw heimlich ermittelt. Helen indes glaubt fest daran, dass ihre Mutter noch lebt: Die Messe in Requiem ist noch lange nicht gelesen.
Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter, der zwei Jahre zuvor den Bremer Meilenstein Abschaum inszeniert, brennt im 607. Tatort ein wahres Film-Noir-Feuerwerk ab. Wir erleben ein Unterwelt-Szenario in düsteren Weitwinkel-Bildern, Beamte im Nadelstreifen-Mafiosi-Look und einen Score, der den pathetischen Duktus vergangener Krimi-Epochen wieder zum Leben erweckt: ein bisschen Bond, auf jeden Fall reichlich Wallace.
Statt einen klassischen Whodunit lösen zu müssen, erfährt der Zuschauer allerlei über den größenwahnsinnigen Verrückten, der sich mit seinen Taten unsterblich machen will. Leider wirken seine langatmigen Ausführungen eher einschläfernd, was auch an der übertrieben farblos gehaltenen Figur liegt.
Die Story ist ebenfalls vorhersehbar, was Freunde experimenteller Tatort-Folgen aber kaum stören dürfte: Dank des großen Wissensvorsprungs entstehen die altbewährten, stets mit einem Augenzwinkern unterlegten Spannungsmomente, und mit Charly Hübner (ab 2010 als Hauptkommissar Alexander Bukow im Polizeiruf 110 aus Rostock zu sehen) oder Thomas Limpinsel geben sich bekannte TV-Gesichter die Klinke in die Hand.
Die Überführung ins neue Jahrtausend gleicht einer postmodernen Drag Show, in der klassische Unterhaltungsfilme aus biederen Zeiten zitiert werden. Näter eröffnet den Bremer Vergnügungspark, ein mittlerweile verwaistes Gelände, das an Raumschiff Orion und ähnliche Science-Fiction-Kulissen erinnert, ein letztes Mal. Die Kamera durchquert und überwacht Geheimgänge, Luftschächte und Schaltzentralen auf mehreren Ebenen. Damit bietet das futuristische Horrorschloss, in dem in den Nullerjahren Tausende von Euro wie in einem schwarzen Loch versackten, eine hervorragende Location für diese trashige Hommage und Reise durch die Filmgeschichte.
Dabei hätte das Bremer Duo ruhig noch mehr auf die Kacke hauen können: Die Schuhe des abgehalfterten Kommissars, der für das Gute kämpft und sich selbst verliert, sind für Stedefreund noch ein bisschen groß. Lürsen hingegen verleiht dem Showdown noch ihre Aura deutscher Gründlichkeit, die Femme fatale nimmt man ihr jedoch nicht so recht ab – vielmehr wartet man darauf, dass sie nach getaner Arbeit nochmal schnell durchkehrt.
Insgesamt liefert der Autorenkrimi aber alle klassischen Motive, die ein Schauerstreifen braucht: Näter überführt ein Kultgenre ins nüchterne Bremen und sorgt dabei sogar für Kinofeeling – eine bemerkenswerte Leistung.
Bewertung: 6/10
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