Bild: WDR/Michael Boehme

Erfroren

Folge 605

21. August 2005

Sender: WDR

Regie: Züli Aladağ

Drehbuch: Stephan Brüggenthies, Patrick Gurris

So war der Tatort:

Unterkühlt.

Und das nicht nur, weil die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bei ihrem 32. Fall – wörtlich und im übertragenen Sinne – stellenweise aufs Glatteis geführt werden. Doch anders als im Jahr 2000, als die Eishockeyspieler der Kölner Haie in Bittere Mandeln hin und wieder durchs Bild wirbelten, gilt das Augenmerk der Drehbuchautoren Stephan Brüggenthies (Funkstille) und Patrick Gurris, die zum ersten Mal ein Skript für die Krimireihe beisteuern, diesmal dem Eiskunstlaufen.

Ein Gebiet, auf dem der allseits beliebte Stefan Müller als Koryphäe galt – zu Beginn der 605. Tatort-Folge liegt er aber tot in einer Eissporthalle. Der frühere Star wurde niedergeschlagen und auf dem Eis liegengelassen, wo er – der Episodentitel deutet es an – erfroren ist. Ballauf und Schenk arbeiten sich in der Folge routiniert am Umfeld des Opfers ab, um zu klären, wer den über die Maßen engagierten Müller, der auch als Preisrichterobmann arbeitete und junge Eiskunstläuferinnen finanziell unterstützte, auf dem Gewissen hat. Dabei geraten insbesondere zwei Personen in den Fokus, an denen das Business Eiskunstlaufen exemplarisch aufgearbeitet wird.

Da ist zum einen das aufstrebende Nachwuchstalent Lily Wandhoven (Zoe Weiland), um das sich Müller auffallend intensiv gekümmert hat, und zum anderen die bemitleidenswerte Jeanette Hintze (Merle Wasmuth, Schwerelos). Im Gegensatz zu Lily hat sie keinen Spaß auf dem Eis. Ihre rücksichtslose und gefühlskalte Mutter Ilona Hintze (Gabriela Maria Schmeide, Die Wiederkehr) erkennt das vor lauter Erfolgsdruck aber nicht; statt einer tröstenden Umarmung hallt nur ein liebloses „Aufstehen, weitermachen!“ durch die Eishalle. Der ambitionierte Trainer Ilja Knjashinskij (Jevgenij Sitochin, Azra) hat ebenfalls nur die Leistung im Blick. Wer die nicht bringt, muss mit den Konsequenzen leben, was nicht nur dem herzensguten Schenk gegen den Strich geht:


BALLAUF:
Gibt’s keine Leistung mehr, dann gibt’s auch kein Geld mehr. Is‘ ja ne wunderbare Vorbereitung auf unsere Gesellschaft.

Auch wenn der pädagogische Anspruch an der einen oder anderen Stelle etwas zu dick aufgetragen erscheint: Es ist ein Thema wie gemalt für den oft gesellschaftskritischen Tatort vom Rhein, das sich gerne im Privatleben der Ermittler wiederfindet. So auch diesmal: Schenks Tochter Melanie (Karoline Schuch) isst zum Erstaunen ihres Vaters seit zwei Jahren(!) kein Fleisch mehr – was in der Konsequenz Pathologe Dr. Roth (Joe Bausch) zugute kommt – und will nach Patagonien reisen, um dort ein Projekt gegen die Abholzung des Regenwaldes zu unterstützen. Ihr Vater lehnt das strikt ab, doch das erschreckend-egoistische Verhalten von Helikopter-Mama Hintze und Ballaufs liberale Ansicht bringen Schenk ins Grübeln und lassen ihn sogar kurz an seiner Tauglichkeit als Vater zweifeln.

Apropos Tauglichkeit: Mit seiner zweiten Regiearbeit für den Tatort liefert Regisseur Züli Aladağ (Im gelobten Land) einen für Kölner Verhältnisse bemerkenswert unaufgeregten Whodunit, der weniger durch Spannung besticht, dafür aber mit Atmosphäre punktet. Das gilt auch für das Treiben im Hause Müller: Sohn Peter (Florian Jahr) umgibt sich als Zivi lieber mit autistischen Kindern, hat mit dem Eiskunstlaufen aber abgeschlossen. Sonja Müller (Eva Kryll, Sonne und Sturm) verbringt als trauernde Witwe auffällig viel Zeit bei ihrem Schwager Martin (Peter Davor, Weil sie böse sind), der die Leidenschaft seines Bruders stets mitfinanzierte. Nun steht er aber mit seiner Firma vor dem Konkurs.

Die bewusst reduzierte Beleuchtung und die melancholischen Geigen- und Klavierklänge passen da ins Bild. Sie erzeugen stellenweise eine träumerisch-sehnsüchtige Stimmung, die dem ruhigen Erzähltempo entspricht. Ballauf und Schenk bewegen sich zudem durch eine in tristem Graublau gehaltene Szenerie rund um die Eishalle, kommentieren das Geschehen meist von der Tribüne aus und wirken dabei nachdenklich wie selten. Alles nicht spektakulär, aber durchaus angenehm. Das kühle Klima tut dem hitzköpfigen Ermittlerduo gut, auch weil es im Präsidium übergangsweise in einem neuen Büro unterkommen muss.

Das schmeckt vor allem Gewohnheitstier Schenk so wenig wie die Currywurst, die diesmal aus der Kantine kommt und nicht, wie gewohnt, von der Wurstbude am Rhein. Die Einrichtung des Büros bleibt größtenteils an Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) hängen, die diesmal einiges zu tun bekommt. Neben dem Auspacken von Kisten besteht ihr Aufgabengebiet vor allem im Sichten von Videos. 

Unterm Strich ist Erfroren damit ein sehenswerter Tatort nach klassischer Bauart, der die Täterfrage erfreulich lange offen lässt – wenngleich die kitschige Schlusssequenz etwas zu viel Ende-gut-alles-gut-Charme versprüht. Zudem bringt Heinrich Pachl in seiner Rolle als kultiger Hausmeister mit breitem rheinischen Dialekt sogar etwas Lokalkolorit und Wärme ins diesmal so kühle Köln.

Bewertung: 6/10


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