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Wenn alle Brünnlein fließen

Folge: 149 | 26. Juni 1983 | Sender: NDR | Regie: Pete Ariel

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So war der Tatort:

Krisengeschüttelt. 

Denn im Tatort-Krisenjahr 1983 – es laufen nur neun Erstausstrahlungen und der nachhaltige Erfolg des „Neustarts“ der Krimireihe, den der WDR mit Horst Schimanski (Götz George) zwei Jahre zuvor in Duisburg-Ruhrort gewagt hat, ist noch lange nicht gewiss – kennzeichnet auch die ökonomische Entwicklung der Bundesrepublik eine tiefe Delle. Die Wirtschaft schrumpft durch die Nachwirkungen der zweiten Ölkrise, Investitionen werden gestreckt. 
Darunter leidet im Tatort Wenn alle Brünnlein fließen auch Bauunternehmer Arnold Severing (Joachim Hansen): Er hat in den Boomjahren gut verdient. Als nun aber der Weiterbau einer Umgehungsstraße in Stade, das an der Unterelbe zum ersten und einzigen Mal Schauplatz einer Tatort-Folge ist, der schlechten Konjunktur zum Opfer fällt, bringt das nicht nur ihn in finanzielle Schwierigkeiten, sondern auch seinen Subunternehmer Helmut Groth (Peter Dirschauer, Das Lederherz). 
Gleichzeitig steht es nicht gut um Severings Ehe: Seine Gattin Eva (Claudia Wedekind, Blinde Wut) und er haben sich auseinandergelebt, sie interessiert sich mehr für den Handwerker und Künstler Boris Hebgart (Holger Mahlich, Leiche im Keller). Als sie ihren Mann nach einem Frühschoppen bei Hebgart tot auffindet, stellt sich – auch finanziell – die alles entscheidende Frage nach Mord oder Selbstmord, denn bei einem Suizid würde die Lebensversicherung nicht ausgezahlt werden. 
Kommissar Ronke (Ulrich von Bock) wird auf den Fall angesetzt und verbirgt seine Empathie geschickt hinter ironischen Kommentaren – zum Beispiel beim Auffinden der Leiche.


RONKE:

Das hätt‘ er sich auch nicht träumen lassen, dass er mal mit ’nem Schluck Wasser im Hals im Kanal landen würde.


Der erste Einsatz des fleurophilen Kommissars in der beschaulichen Kreisstadt bleibt ebenso singulär wie der Schauplatz der Handlung: Hauptdarsteller Ulrich von Bock legt seinen spröden Ermittler ähnlich lakonisch an wie bereits seine Nebenrolle als Obermeister Petersen bei seinen vorherigen Tatort-Auftritten an der Seite von Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter, zuletzt in Trimmel und Isolde). Ein prinzipienfester Beamter, der in seiner Erscheinung mit karierter Kappe und Schal an einen englischen Detektiv aus dem 19. Jahrhundert erinnert. 

Detlef Müller hat einen originellen Plot für sein erstes Tatort-Drehbuch ersonnen (für den NDR folgen noch die Drehbücher zu Zeitzünder und Parteifreunde) und auch Regisseur Pete Ariel (Gelegenheit macht Liebe) gibt 1983 sein Debüt für die Krimireihe. Seine erste von insgesamt neun Tatort-Folgen inszeniert er aber sehr unaufgeregt und routiniert, noch ohne erkennbare eigene Handschrift. Viel Zeit nimmt er sich dafür, die Atmosphäre der Kleinstadt Stade zu erkunden, die entfremdeten Ehepartner zu begleiten, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten darzustellen. 
Trotz des gemächlichen Erzähltempos ist es spannend, den Ermittlungen von Ronke und Hauptmeister Schröder (Wolfgang Hartmann, Slalom) zu folgen. Wesentlich zum ruhigen, aber gelungenen Aufbau trägt Eberhard Webers Originalmusik bei und Pat Methenys Fusion-Klassiker Are You Going With Me? illustriert nicht allein den Frühschoppen im Künstleratelier, sondern auch den Beginn der Bande, die Eva Severing und Boris Hebgart einleitend knüpfen. 
Besonders überzeugend ist nicht nur in dieser Sequenz das Spiel von Claudia Wedekind als durchtriebene Femme Fatale. Gleichzeitig ermöglichen die Macher Holger Mahlich das erste (West-)Fernsehspiel-Engagement nach seiner Übersiedlung aus der DDR und besetzen Joachim Hansen, der 1957 zwar im Kriegsfilm Der Stern von Afrika auf der großen Leinwand reüssierte, aber nur selten in Fernsehproduktionen auftauchte.
Im Nebencast setzt der NDR auf bekannte und bewährte Hamburger Theatermimen wie Friedrich Schütter (Reifezeugnis) oder Rudolf Beiswanger (Nachtfrost) und renommierte Serienschauspieler wie Karl-Heinz Heß (Slalom). Unterm Strich liefert der Sender damit einen klassischen und soliden Krimi ab – ohne große Schnörkel, aber unterhaltsam, dabei weder innovativ noch besonders nachhaltig. 
So markiert Wenn alle Brünnlein fließen zugleich den Abschluss der „Eintagsfliegen“-Phase (mit Ronkes ähnlich klassisch angelegten Vorgängern Beck, Greve, Nagel und Schnoor): Zehn Monate später beginnt mit Haie vor Helgoland die lange und deutlich erfolgreichere Dienstzeit von Paul Stoever (Manfred Krug).

Bewertung: 6/10

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