Folge: 136 | 2. Mai 1982 | Sender: NDR | Regie: Volker Vogeler
Bild: NDR |
So war der Tatort:
Wortkarg.
Denn an der Unterelbe kurz vor Cuxhaven ticken die Uhren noch anders: Unendlich viel Zeit nimmt sich Regisseur Volker Vogeler schon zu Beginn seiner ersten (und zugleich einzigen) Tatort-Folge, um die Landschaft zu entdecken. Dass er den Fokus seines Krimis auf die Bilder legt, wird schon bei der Wahl des Filmformats deutlich: Das Super-16-Material ist für die Ausstrahlung nicht – wie damals üblich – auf 4:3 editiert worden, sondern auf eine Größe von ca. 1:1,67; es erreicht also annähernd das Kinoformat, das die Horizonte des Küstenlandstrichs am besten zur Geltung bringen kann.
Weit und statisch sind die Einstellungen hintereinander geschnitten, kaum ein Schwenk und – das gilt für die gesamten 78 Minuten des Films – fast immer verharrt die Einstellung länger auf Gesichtern und Landschaften, als es der Erwartung des Publikums entspricht und als es für die Handlung notwendig ist. Verzögerung wird zum Stilmittel. Noch weiter verlangsamt wird die 136. Tatort-Folge dadurch, dass die Untertitel, die die plattdeutschen Dialoge übersetzen, nie simultan, sondern deutlich verschleppt eingeblendet werden.
Nur keine Hektik.
Eine aufreizende, ja kaum zu ertragende Ruhe durchzieht diese eigenwillige Charakter- und Regionalstudie. Die für die Krimireihe konstitutiv formulierte „Regionalität“ wird in Wat Recht is, mutt Recht blieben bemerkenswert auf die Spitze getrieben.
Einerseits ein Stück, dass mit den großartigen Bildern von Kameramann Günther Wulff (Himmelfahrt) das Land Hadeln so einfängt, wie es sich Anfang der 80er Jahre tatsächlich darstellt; ein wenig hinter der Zeit eben. Ein früher Versuch auszuloten, welche dramaturgischen Möglichkeiten die Fernsehreihe bietet. Andererseits auch ein Spielfilm, dessen erzählerische Feinheiten im Drehbuch von Elke Loewe (nach einer Erzählung von Boy Lornsen) fast zwangsläufig hinter der Inszenierung verschwinden (müssen).
Vier alte Männer, die ihr Leben lang zu See gefahren sind (Laienschauspieler und Börtebootführer von der Insel Helgoland) verbringen ihren Ruhestand in einem Dorf an der Elbmündung. Das Leben zieht an ihnen vorbei; aus dem strukturierten Alltag zwischen ihrer Bank am Deich, der Gastwirtschaft „Zur Schleuse“ und Schifferknoten holt sie der Rauschgifttod eines Enkelkinds. Ruhig fließt die Elbe an ihrem Dorf vorbei, als eines Morgens ein Toter auf einem der Segelboote im Hafen entdeckt wird.
Hauptkommissar Nikolaus Schnoor (Uwe Dallmeier, Ein ganz gewöhnlicher Mord), Assistent Wilke (Ralf Richter, Duisburg-Ruhrort) und ihre Kollegen aus Otterndorf und Stade nehmen die Ermittlungen auf. Schon bei Schnoors erstem Auftritt wird deutlich, dass er seine Wurzeln ebenfalls an der Unterelbe hat. Er versteht und spricht die plattdeutsche Sprache, überlegt jedes einzelne Wort, setzt zum Sprechen an, wägt erkennbar ab – und schweigt dann doch wieder. Nur knapp werden seine Recherchen dokumentiert. Für die Zuschauer ist sowieso klar, warum der Segler sterben musste. Weder die Täterfrage noch die Auflösung und Überführung des Täters können die Handlung vorantreiben.
Was bleibt, sind stoische Dorfbewohner, die so gar nicht den Vorstellungen von einer verschworenen Gemeinschaft entsprechen. Uwe Ochsenknecht (Schönes Wochenende) irritiert seinen Mitbewohner kaum, als er in einer hinreißenden Miniatur Chico Marx‘ legendäre Szene „I’d kill for money“ aus The Cocoanuts rezitiert. Ein aufgeweckter kleiner Junge mit türkischen Wurzeln, ein aus Ostpreußen vertriebenes Ehepaar – der Mord unterbricht ihren Alltag nicht. Und über allem spielen Mundharmonika und Perkussion eine westernähnliche Melodie von der Sehnsucht nach Weite. So ist halt das Leben: Weder den Kommissar, noch die anderen Figuren kann irgendetwas aus ihrer lakonischen Ruhe bringen.
Wat Recht is, mutt Recht blieben ist im Vergleich zum Finke-Tatort Jagdrevier ein noch weiter entschleunigter NDR-Tatort, der gleichwohl atmosphärisch dicht ein stimmiges Bild der Unterelb-Landschaft und -Bewohner zeichnet. Als Kriminalfilm betrachtet, fehlen allerdings Handlung und ein Plot, der den Namen verdienen würde. So ereilt dann auch Kommissar Schnoor dasselbe Schicksal wie die NDR-Kollegen Nagel, Greve, Beck und Ronke: Es bleibt bei einem einzigen, hier allerdings ziemlich denkwürdigen Auftritt.
SCHNOOR:
Bei Flut wird geboren, bei Ebbe gestorben.
Bewertung: 6/10
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