Bild: NDR/Marc Meyerbröker

Giftschrank: Diese Tatort-Folgen dürfen nicht wiederholt werden

Hier erfährst du, was sich hinter dem sogenannten „Tatort-Giftschrank“ verbirgt und welche Folgen derzeitig nicht mehr gezeigt werden dürfen.


Was ist der Giftschrank überhaupt?

Auch wenn der Name etwas Anderes nahelegen mag, handelt es sich dabei natürlich nicht um ein physisches Möbelstück: Im sogenannten „Giftschrank“ der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten landen besonders kontroverse oder problematische Filme mit einem senderinternen Sperrvermerk. Tatort-Folgen und andere Fernsehfilme, die nach ihrer TV-Premiere (oder auch später) einen solchen Vermerk erhalten, dürfen also bis auf Weiteres nicht im Fernsehen wiederholt werden.

Es gibt keinen gemeinsamen Giftschrank für den Tatort oder für andere Krimireihen und auch keine offizielle Giftschrank-Liste. Die verantwortlichen Produktionsfirmen und Sendeanstalten der ARD entscheiden selbst, welche in Auftrag gegebenen Folgen sie sperren oder für Wiederholungen freigeben. Landet eine Folge im Giftschrank, darf sie weder im Ersten oder auf ONE, noch in „dritten“ Programmen wie WDR, SWR & Co. laufen. Auch in die Mediatheken dürfen diese Tatort-Episoden nicht eingestellt werden.

Wichtig ist: Die Wahrnehmung der einzelnen Folgen ist subjektiv und kann sich im Laufe der Zeit erheblich verändern. Was in der Vergangenheit noch als problematisch angesehen wurde, muss heute nicht mehr zwangsläufig so betrachtet werden. Nicht selten werden Folgen also nach langem Giftschrank-Dasein doch wieder ins Programm genommen.

Welche Tatort-Folgen sind aktuell im Giftschrank?

Derzeitig gibt es sechs Tatort-Folgen, die nicht gesendet werden dürfen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Mal spielen inhaltliche Bedenken eine Rolle, mal sind es rechtliche Ursachen, mal sind sie die Gründe handwerklicher Natur.

Aktuell liegen diese Folgen im Giftschrank (Aufklappen für weitere Infos):

Tatort-Folge 16: „Der Fall Geisterbahn“ von 1972

Über 50 Jahre hat diese in Hessen angesiedelte Folge auf dem Buckel – und fast genauso lang sind auch schon die Eigentumsrechte an diesem Tatort ungeklärt. Es handelt sich bei diesem Krimi um die 16. Ausgabe der Reihe und zugleich um den zweiten Tatort mit Kommissar Konrad (Klaus Höhne), der einen Mord auf einem Rummelplatz aufklären muss.

Produziert wurde Der Fall Geisterbahn, der mit gerade einmal 73 Minuten Spielzeit zu den kürzesten aller Tatort-Folgen zählt, Anfang der 70er Jahre im Auftrag des Hessischen Rundfunks von der Horst Film GmbH & Co. KG Berlin. Die Produktionsfirma ging allerdings kurz nach der TV-Premiere des Krimis pleite und die Lizenzrechte sind seitdem unklar. Entsprechende Schriftstücke, mit der sich die rechtliche Lage im Nachhinein klären ließe, liegen offenbar nicht vor.

Der Hessische Rundfunk verzichtet deshalb bis heute auf Wiederholungen des Films.

Screenshot: Hessischer Rundfunk
Tatort-Folge 73: „Reifezeugnis“ von 1977

Der sechste Tatort mit dem Kieler Hauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) gilt als absoluter Klassiker der Reihe und wurde seit seiner TV-Premiere im Jahr 1977, bei der rekordverdächtige 25 Millionen Menschen einschalteten, schon sehr häufig wiederholt. Schnelle Berühmtheit erlangte der Krimi durch seine (damals) skandalträchtige Geschichte um die verbotene Affäre zwischen dem Lehrer Helmut Fichte (Christian Quadflieg) und seiner minderjährigen Schülerin Sina Wolf, gespielt von Nastassja Kinski, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst 15 Jahre alt war.

Und genau hier liegt der Grund, warum Reifezeugnis nicht mehr wiederholt werden darf: Im Februar 2024 kündigte Nastassja Kinski aus heiterem Himmel an, ihre Nacktszenen in dieser berühmten Tatort-Folge verbieten zu lassen (weitere Informationen). Ihr Rechtsanwalt teilte mit, sie habe als Minderjährige keine wirksame Zustimmung für diese Aufnahmen geben können. „Nastassja Kinski war damals faktisch ohne Begleitung am Set, als die Szenen gedreht wurden – eine rechtswirksame Einwilligung als Minderjährige ist damit denklogisch ausgeschlossen gewesen“, so der Anwalt. Er habe im Namen von Kinski für die Zukunft eine Einwilligung unabhängig davon widerrufen. Kinski selbst äußerte sich mehrfach auf ihrem Instagram-Account zu der Angelegenheit.

Der Norddeutsche Rundfunk teilte dem Stern dazu mit, dass der Film derzeit nicht zur weiteren Ausstrahlung geplant sei. „Wir sind im Gespräch mit Lizenznehmern, um den Film bis zur Klärung des Sachverhalts auch von Streaming-Plattformen zu nehmen“, so der Sender. Es finde eine juristische Prüfung sowie eine Abschätzung möglicher Folgewirkungen statt. Auf DVD ist der Film zumindest als Neuware nicht mehr erhältlich – gut möglich, dass gebrauchte Exemplare schon bald im Sammlerwert steigen.

Screenshot: NDR

 

Tatort-Folge 110: „Mit nackten Füßen“ von 1980
Auch diese Tatort-Folge wurde in den 70er Jahren vom Hessischen Rundfunk in Auftrag gegeben. Sie thematisiert einen Mordfall in einer Werbeagentur in Frankfurt am Main. Als Ermittler ist der Hauptkommissar Sander (Volkert Kraeft) im Einsatz, der nur dieses eine Mal in einem Tatort auf Täterfang ging. Im Fernsehen war der Krimi das erste und letzte Mal am 9. März 1980 zu sehen.
 
Dass seitdem keine Wiederholungen dazukamen, hat inhaltliche Gründe: Im Tatort Mit nackten Füßen verbreitet ein Professor den schon damals wissenschaftlich widerlegten Irrglauben, Epilepsie sei eine Geisteskrankheit und Epileptiker neigten überdurchschnittlich oft zu Gewalttätigkeit. Der Aufschrei unter selbst Betroffenen, Ärzten und Medizinern war nach der Erstausstrahlung im Jahr 1980 entsprechend groß.
 
Das Drehbuch von Karl-Heinz Willschrei, das der WDR interessanterweise einige Jahre zuvor abgelehnt hatte, genügte aber auch unabhängig von diesem Fauxpas nach der Erstausstrahlung den Qualitätsansprüchen des Senders nicht mehr. Von einer Wiederholung haben HR und ARD seitdem abgesehen. Mit nackten Füßen trägt auch den Alternativtitel Mord ohne Reue und wurde unter diesem Namen von Video Palace auf VHS veröffentlicht.
 
Screenshot: Hessischer Rundfunk

 

Tatort-Folge 335: „Tod im Jaguar“ von 1996
Die Tatort-Folgen mit dem Berliner Kommissar Ernst Roiter (Winfried Glatzeder) und seinem Assistenten Michael Zorowski (Robinson Reichel) markieren eines der schwächsten Kapitel der gesamten Krimireihe – und es überrascht deshalb nicht, dass gleich zwei Folgen mit den beiden Ermittlern dauerhaft im Giftschrank der ARD gelandet sind.
 
Ihr erster Fall Tod im Jaguar, in dem ein jüdischer Geschäftsmann durch ein Bombenattentat ums Leben kommt, ist eine Produktion der Eikon Film im Auftrag des SFB und feierte seine TV-Premiere am 9. Juni 1996 im Ersten. Seitdem ist der 335. Tatort nicht wieder ausgestrahlt worden. Er galt schon damals als antisemitisch; in die Kritik geriet nach der Erstausstrahlung unter anderem die heikle Darstellung von jüdischen Geschäftsleuten. Roiter und Zorowski stoßen im Film auf Hinweise internationaler und krimineller Aktivitäten.
 
Darüber hinaus hatte der Sender Freies Berlin im Vorfeld eine missverständliche Pressemitteilung mit Hinweisen auf „antijüdische Passagen“ an Journalisten verschickt. Der Sender erntete dafür – wenig überraschend – Empörung auf breiter Front. Das skandalöse Schreiben an die Presse ist mittlerweile nicht mehr auffindbar.
 
Die ARD zog nach der Ausstrahlung die Reißleine und setzte einen internen Sperrvermerk für diesen Tatort. Seit seiner TV-Premiere lagert Tod im Jaguar deshalb im Giftschrank.
 
Screenshot: SFB
Tatort-Folge 346: „Krokodilwächter“ von 1996
Auch die zweite Giftschrank-Folge mit den Berliner Ermittlern Ernst Roiter (Winfried Glatzeder) und Michael Zorowski (Robinson Reichel) ging im Jahr 1996 auf Sendung: Krokodilwächter ist ihr vierter Fall. Es geht darin um einen Mitarbeiter der Deutschen Post, der einleitend durch eine Briefbombe getötet wird. Der Krimi wurde am 10. November 1996 zum ersten und letzten Mal ausgestrahlt.
 
Dass seitdem keine Ausstrahlung im Fernsehen dazukam und der Film nie in den Mediatheken landete, hat qualitative Gründe: Schon das Medienecho zu Krokodilwächter, den die Opal-Filmproduktion GmbH für den Sender Freies Berlin realisierte, fiel nach der TV-Premiere vernichtend aus. Wie so viele der Roiter-und-Zorowski-Episoden (vgl. Ein Hauch von Hollywood) hinkt der Film dem üblichen Qualitätsniveau der Krimireihe weit hinterher. Das hat auch handwerkliche Ursachen: Die Berliner Episoden ließ der SFB in den 90er Jahren aus Kostengründen vorübergehend auf Betacam drehen.
 
In diesem Fall meldete sich nach der Erstausstrahlung des Krimis sogar ein Bundespolitiker zu Wort: Hans-Otto Wilhelm, der vor seiner politischen Karriere für das ZDF tätig war und 1996 als Medienbeauftragter der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag fungierte, kritisierte unter anderem die Gewaltszenen des Films und bezeichnete den Tatort als „brutal, sexistisch und menschenverachtend“.
 
Nach seiner TV-Premiere wanderte Krokodilwächter daher in den Giftschrank und wurde bis heute nicht wiederholt.
 
Screenshot: SFB

 

Tatort-Folge 684: „Wem Ehre gebührt“ von 2007

 

Die derzeitig neueste Tatort-Episode, die nach ihrer Erstausstrahlung nie wieder gezeigt werden durfte, ging am 23. Dezember 2007 auf Sendung: In Wem Ehre gebührt ermittelt die bis heute aktive Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) bei ihrem elften Einsatz nach dem Mord an einer jungen Deutsch-Türkin, die alevitischen Glaubens war. Lindholm war damals noch landesweit für das niedersächsische LKA im Einsatz (heute ermittelt sie in Göttingen).
 
Was dem Film das Genick brach und den internen Sperrvermerk der ARD nach sich zog, ist die Verwendung des Inzestmotives in einer Familie alevitischen Glaubens und die Geschichte, die sich aus dieser Tat ergibt. Die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. wandte sich nach der Erstausstrahlung in der Weihnachtszeit 2007 mit harschen Worten an die Öffentlichkeit und protestierte „aufs Schärfste gegen die Darstellung des alevitischen Glaubens“. Eine zusätzliche Strafanzeige wegen Volksverhetzung zog sie nach einer Entschuldigung des Senders zurück.
 
Die Gemeinde kritisierte unter anderem die Darstellung des Films, dass eine schwangere Frau nach einem Inzestfall in einer alevitischen Familie ausgerechnet zur einer strenge(re)n Auslegung des Islams flüchtet und dort „Schutz in der Verschleierung“ findet. Dass die ältere Schwester, die zur Aufklärung beitragen möchte, im Film vom Vater ermordet wird, empfand die Gemeinde als „Diffamierung“. Wichtig sei auch die historische Komponente: Derart volksverhetzende Anschuldigungen hätten jahrhundertlang in der Türkei zu Pogromen an Aleviten geführt.
 
 
In Deutschland kam es nach der Erstausstrahlung zu Protesten und zu einer großen medialen Debatte, in die sich unter anderem der damalige Außenminister und spätere Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit deeskalierenden Appellen einschaltete. Während manche die energischen Proteste der Aleviten als Versuch interpretierten, in Deutschland eine Zensur durchzusetzen, äußerten sich andere verständnisvoller für die scharfe Kritik.
 
Ein interessanter Aspekt am Rande: Neben Hauptdarstellerin Maria Furtwängler sind in diesem Tatort gleich drei Schauspieler/innen zu sehen, die später selbst für die Krimireihe auf Täterfang gingen. In Nebenrollen dabei sind Mehmet Kurtulus, der von 2008 bis 2012 den Hamburger Undercover-Cop Cenk Batu mimte, Aylin Tezel, die von 2012 bis 2020 als Oberkommissarin Nola Dalay in Dortmund ermittelte, und Eva Löbau, die seit 2017 als Hauptkommissarin Franziska Tobler im Schwarzwald Mordfälle löst.
 
Wem Ehre gebührt wanderte nach seiner TV-Premiere direkt in den Giftschrank und wurde bis heute nicht mehr im Fernsehen gezeigt oder in die Mediathek eingestellt.
 
 
Screenshot: NDR

Welche Tatort-Folgen waren mal im Giftschrank, sind es aber nicht mehr?

Mehrere Tatort-Folgen lagen viele Jahre, teilweise jahrzehntelang im Giftschrank, sind aber mittlerweile nicht mehr für Wiederholungen in den öffentlich-rechtlichen Kanälen gesperrt. Auch hierfür gibt es unterschiedliche Gründe.

Diese Folgen zählen nicht mehr zu den Giftschrank-Folgen (Aufklappen für weitere Infos):

Tatort-Folge 34: „Tote brauchen keine Wohnung“ von 1973

Auch eine vom Bayerischen Rundfunk in Auftrag gegebene Tatort-Folge fristete einst ein langes Dasein im Giftschrank des Senders: Tote brauchen keine Wohnung feierte seine TV-Premiere am 11. November 1973, wurde danach aber stolze 19 Jahre lang nicht im Fernsehen gezeigt.

Bei diesem sperrigen Krimi handelt es sich um den dritten Tatort mit dem Münchner Kommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer), der die Vergiftung einer Rentnerin aufklären muss und in Zeiten zahlreicher Demonstrationen gegen die Gentrifizierung in der bayrischen Landeshauptstadt ermittelt.

Dass Tote brauchen keine Wohnung fast zwei Dekaden lang einen Sperrvermerk erhielt, liegt in diesem Fall nicht an negativen Zuschauerreaktionen, sondern ist hausgemacht: Der BR-Rundfunkrat störte sich an der „brutalen und menschenverachtenden Darstellung“ des von Walter Sedlmayr gespielten reichen Vermieters Pröpper. Erst als der Intendant des Bayerischen Rundfunks wechselte, wurde der Krimi 1992 im wiedervereinigten Deutschland im Fernsehen wiederholt. 2010 attestierte die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) dem Krimi eine Altersfreigabe ab 12 Jahren, die heutzutage der Standard bei neuen Tatort-Folgen ist.

Screenshot: BR

 

Tatort-Folge 57: „Tod im U-Bahnschacht“ von 1975

Seine Fernsehpremiere feierte Tod im U-Bahnschacht bereits am 9. November 1975 – doch es dauerte stolze 20 Jahre, ehe der Film von seinem Dasein als Giftschrank-Tatort befreit und 1995 ein weiteres Mal gezeigt wurde. Im Krimi aus der Hauptstadt ermittelt erstmalig der Berliner Kommissar Schmidt (Martin Hirthe), der auf den Todesfall eines illegal beschäftigten Arbeiters mit Migrationshintergrund angesetzt wird und es mit Menschenschmugglern zu tun bekommt.

Für die lange Sperre werden gleich mehrere Ursachen vermutet: Neben des für damalige Verhältnisse ungewohnt drastisch inszenierten Todeskampfs des Opfers, den die Kameraleute Jürgen Wagner und Wolfgang Knigge in Großaufnahme einfangen, geriet auch die Darstellung der Polizei und der Arbeiter mit Migrationsgeschichte in die Kritik. Der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß etwa beschwerte sich beim damaligen SFB-Intendanten noch während der Erstausstrahlung des Films in der ARD über die vermeintliche „Verhöhnung der Berliner Polizei“. Auch zwischen dem Sender, der diese harsche Kritik entschieden zurückwies, und Regisseur Wolf Gremm soll es zu heftigen Meinungsverschiedenheiten gekommen sein.

Nach der ersten Wiederholung im Jahr 1995 kam der Krimi 2018 ein weiteres Mal ins Fernsehen: Das rbb Fernsehen, der Nachfolger des früheren Senders Freies Berlin, strahlte die 57. Tatort-Folge sogar in einer digital restaurierten Fassung aus. Ein Giftschrank-Tatort ist Tod im U-Bahnschacht deshalb heute nicht mehr.

Screenshot: SFB
 
Tatort-Folge 78: „Drei Schlingen“ von 1977

Auch der Essener Tatort Drei Schlingen, der am 28. August 1977 erstmalig ausgestrahlt wurde, war ein stolzes Vierteljahrhundert für Wiederholungen in der ARD und in den „dritten Programmen“ gesperrt. Erst kurz nach der Jahrtausendwende erblickte der Krimi noch einmal das Licht der Öffentlichkeit. Der Grund für das lange Dasein im Giftschrank des WDR waren die zahlreichen Publikumsbeschwerden über die ungewohnt hohe Brutalität der 78. Tatort-Folge bei der TV-Premiere im Jahr 1977.

Es handelt sich bei diesem Krimi um den elften Tatort mit dem beliebten Kommissar Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy). Der Essener Ermittler wird auf einen sorgfältig geplanten Überfall auf einen Geldtransporter angesetzt, in dessen Zuge ein Wachmann erschossen wird.

Aus heutiger Sicht scheint der rund 25 Jahre andauernde, senderinterne Sperrvermerk für Drei Schlingen übertrieben – und so wurde der Tatort im Jahr 2003 nach der Freigabe durch einen Jugendschutzbeauftragten erstmalig wieder im Fernsehen gezeigt. Im Jahr 2009 attestierte auch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) dem Krimi die Altersfreigabe ab 12 Jahren, die heute für Tatort-Folgen der Standard ist.

Screenshot: WDR

 

Tatort-Folge 109: „Der gelbe Unterrock“ von 1980

Fast 36 Jahre lang schlummerte der missglückte Tatort Der gelbe Unterrock im Giftschrank – am 16. Januar 2016 erblickte der Krimi, der im Karnevalsmilieu spielt, doch noch einmal das Licht der Öffentlichkeit. Die Folge wurde am 10. Februar 1980 erstmalig ausgestrahlt und anschließend mit einem Sperrvermerk versehen, weil der SWR ihn bereits damals für misslungen hielt.

Die erste Kommissarin der Krimireihe – Marianne Buchmüller (Nicole Heesters) – ermittelt in diesem Mainzer Tatort gegen einen psychisch gestörten Mann, der Frauen quält und unter Mordverdacht steht, als eine der Frauen zu Tode kommt. Viele Zuschauer hatten in den frühen 80er Jahren Probleme damit, der reichlich wirr, stellenweise aber auch unheimlich langatmig erzählten Handlung aus der Feder von Drehbuchautor Kristian Kühn zu folgen. Dass im Film von Karneval statt von Fastnacht (wie in Mainz üblich) gesprochen wird, ist da noch das kleinste Übel.

Trotz dieser Mängel wirkt der einstige Sperrvermerk aus heutiger Sicht übertrieben – wohl auch deshalb entschloss sich der SWR dazu, die Folge wieder aus dem Archiv zu holen. „Was damals Zuschauer aufgeregt hat, würde heute niemanden mehr interessieren“, ließ sich die einstige SWR-Fernsehfilmchefin Martina Zöllner 2016 zitieren. Schon bei seiner Erstausstrahlung 1980 habe der Film nicht gegen den Jugendschutz oder ein anderes Gesetz verstoßen.

Screenshot: SWF

 

Tatort-Folge 222: „Blutspur“ von 1989

Auch ein Tatort mit Horst Schimanski (Götz George) lag viele Jahre lang im Giftschrank des WDR: Blutspur ist sein 21. Fall und wurde am 20. August 1989 zum ersten Mal in der ARD ausgestrahlt. In diesem Krimi ermittelt der Kult-Kommissar gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Christian Thanner (Eberhard Feik) gegen ein arabisches Terrorkommando, das im Ruhrgebiet sein Unwesen treibt und auf die beiden Ermittler feuert.

Ähnlich wie Drei Schlingen (s.o.) war der 21. Schimanski-Tatort lange Zeit wegen der vermeintlich zu hohen Brutalität für Wiederholungen gesperrt – aus heutiger Sicht erscheint das allerdings übertrieben. Sieben Leichen in nur einem Tatort waren Ende der 80er Jahre jedoch die absolute Ausnahme, und so dauerte es stolze zehn Jahre, bis Blutspur im Jahr 1999 zum ersten Mal im Fernsehen wiederholt werden durfte. Später veröffentlichte der WDR sogar eine restaurierte Fassung des Films, die im TV gezeigt und in der Mediathek bereitgestellt wurde.

Screenshot: WDR

 

Tatort-Folge 894: „Der Eskimo“ von 2014

Am 5. Januar 2014 ging der Frankfurter Hauptkommissar Frank Steier (Joachim Król) zum ersten Mal ohne seine langjährige Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) auf Täterfang am Main – stattdessen stellte man ihm für einen Fall die nassforsche Kommissarsanwärterin Linda Dräger (Alwara Höfels) zur Seite. Die beiden ermitteln in Der Eskimo in einem eher wirren Mordfall, der amerikanische Elite-Soldaten und vermeintliche Alien-DNA zum Thema macht. Die eigenwillige Geschichte war allerdings nicht der Grund, warum der 894. Tatort für viele Jahre einen Sperrvermerk erhielt.

Schon während der TV-Premiere um 20.15 Uhr, an die sich noch die Erstausstrahlung der vielgelobten Kölner 22-Uhr-Episode Franziska anschloss, trudelten erste Beschwerden beim Hessischen Rundfunk und bei der ARD-Zuschauerredaktion ein. Mehrere Menschen beklagten sich darüber, dass sie im Film auf einem Foto zu sehen sein, ohne dass man sie vorher um Erlaubnis für die Verwendung dieses Bildes gefragt hätte. In mehreren Szenen des Krimis wird in alten Fotoalben geblättert, zu sehen ist dabei auch die Großaufnahme alter Klassenfotos (zum Beispiel bei Minute 17:39 oder bei Minute 27:29).

Eine ursprünglich für Februar 2014 angekündigte Wiederholung des Krimis im HR wurde deshalb gecancelt und es dauerte stolze sechs Jahre, ehe Der Eskimo ein weiteres Mal im Fernsehen und in der Mediathek zu sehen war. Ob der Film nachträglich bearbeitet wurde, was erhebliche Zusatzkosten generiert hätte, oder ob man sich der Sender mit den Betroffenen anderweitig einigen konnte, hat der Hessische Rundfunk bis heute nicht bekanntgegeben.

Screenshot: HR

Warum wandern nicht mehr Tatort-Folgen in den Giftschrank, wenn sie doch offenbar diskriminierend sind?

Wer sich in jüngerer Vergangenheit mal einen Tatort mit Horst Schimanski (Götz George) oder einen anderen Fall, der schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat, im Fernsehen oder in der Mediathek angeschaut hat, ist vielleicht über diesen vorab eingeblendeten Hinweis gestolpert:

„Das folgende fiktionale Programm wird in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, deren Sprache und Haltung aus heutiger Sicht diskriminierend wirken können.“

Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nehmen Diskriminierungen, die zum Zeitpunkt der Filmproduktion noch nicht als solche erkannt wurden, also nachträglich in Kauf, weil sie die älteren Tatort-Produktionen auch als ein Stück Fernseh- und Zeitgeschichte sehen. Dieser vorgeschaltete „Warnhinweis“ soll etwaigen Beschwerden des Publikums über mögliche Diskriminierungen entgegenwirken.

Unabhängig von einem internen Sperrvermerk der Sender wurden schon zahlreiche Tatort-Folgen seit Jahrzehnten nicht wiederholt – wenn mindestens eine Wiederholung nach der TV-Premiere gezeigt und kein neuer Sperrvermerk hinterlegt wurde, gelten sie aber nach allgemeinem Verständnis nicht mehr als „Giftschrank“-Folgen.