Folge 1272
15. September 2024
Sender: ORF
Regie: Mirjam Unger
Drehbuch: Franziska Pflaum, Samuel Deisenberger
So war der Tatort:
Ähnlich fixiert auf die Rap-Szene wie der Tatort Fette Krieger 23 Jahre zuvor – aber zum Glück nicht halb so missglückt wie der katastrophal schwache Krimi aus Ludwigshafen.
Das liegt vor allem daran, dass der Wiener Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und die Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die bei ihren Recherchen von ihrer Kollegin Meret Schande (Christina Scherrer) unterstützt werden, in Deine Mutter eine deutlich souveränere Figur abgeben als ihre Kurpfälzer Tatort-Kollegen: Mussten sich Lena Odenthal und Mario Kopper bei ihrem bedauernswerten Gestolper durch ein missratenes Drehbuch quasi auf Augenhöhe mit koksenden Musikern auseinandersetzen, legen die Wiener Kriminalisten bei Eisners 25-jährigem Tatort-Jubiläum (erster Einsatz 1999 in Nie wieder Oper) mehr Distanz und eine gesunde Portion Selbstironie an den Tag. „Du bist ja echt deep in dem Shit drin.“
Dabei hat sich im Rap-Business nach der Jahrtausendwende – sieht man vom nervtötenden Autotune-Gejaule der Protagonisten mal ab – recht wenig geändert, was durchaus authentisch illustriert wird: Beef bringt nicht nur Stress, sondern Publicity, und kräftig an den Künstlern mitverdienen tun raffgierige Produzenten wie Lukas „Luk“ Martin (förmlich maskiert mit Cap und Brille: Roland Koch, einst im Bodensee-Tatort als Schweizer Kollege Matteo Lüthi zu sehen, vgl. Winternebel). Ebenso wichtig wie die Musik sind das Image, der Look und das Gesamtpaket, das Musiker verkörpern. Und heutzutage ihre Reichweite auf Social Media: Meret Schande verweist nicht etwa auf Goldene Schallplatten, sondern zuerst auf den Insta-Kanal des Rappers Ted Candy (Aleksandar „Yugo“ Simonosvski), der auf den bürgerlichen Namen Theodor Sänftner hört und erschlagen in einem Parkhaus liegt.
Die daran anschließende Sequenz, in der sich die verdutzte Bibi Fellner durch den stolze 29 Follower aufweisenden Instagram-Account von Moritz Eisner scrollt, ist dann auch schon einer der besten und witzigsten Momente im Film unter solider Regie von Tatort-Debütantin Mirjam Unger – aber leider auch einer der wenigen wirklich guten. Das Drehbuchduo Franziska Pflaum und Samuel Deisenberger, das ebenfalls zum ersten Mal für die Krimireihe schrieb, erzählt in der Folge einen durchaus kurzweiligen, aber recht formelhaften und durchschaubaren Whodunit. Kommissar Zufall und abgegriffene Standardmanöver des Genres müssen der Geschichte mehrfach auf die Sprünge helfen.
Mit dem rabiaten Rap-Rivalen und Bushido-Verschnitt Akman „Akman 47“ Onur (Murat Seven) gibt es einen alibilosen Hauptverdächtigen aus dem Bilderbuch: nachweislich vorbestraft, nachweislich mit Migrationshintergrund und damit garantiert kein Täter im Tatort. Unter seinen Fittichen: Der aus Nigeria geflohene Nachwuchsrapper Bashir Ahmadi (Francis Ayozieuwa), von Boko Haram um seine Familie gebracht – ebenfalls kein Empfehlungsschreiben für eine Täterschaft in der Krimireihe. Früh ist klar, dass die Auflösung der Mörderfrage über drei Frauen führt: Teds trauernde Mutter Adriane Sänftner (Edita Malovcic) und die Lebensgefährtinnen der noch lebenden Rapper, die hochschwangere Sarah Stamenkovic (Salka Weber) und die rappende Dalia (Kiara „KeKe“ Hollatko).
Und da sind weitere Momente, die wir im Tatort schon (viel zu) häufig gesehen haben: Laptop-Passwörter werden mühelos im dritten Versuch geknackt, wichtige Details in Handyvideos und auf Fotos werden lange übersehen und der Leichenfundort zu schlampig inspiziert. So lodert die Spannungsflamme künstlich weiter. Das kann man so erzählen und das funktioniert durchaus passabel, mit echten Überraschungen punktet der Austro-Tatort allerdings nicht. Und wirklich cringe ist eine Traumsequenz, in der sich Moritz Eisner und Bibi Fellner in einem Musikvideo unter die Rappercrew mischen: Hier geht die ansonsten so angenehme Distanz zum Gepose von Candy & Co. einen quälenden Moment lang flöten.
Als erster Fall nach der längsten Tatort-Sommerpause aller Zeiten ist Deine Mutter also nicht einmal solide Durchschnittskost, sondern eine kleine Enttäuschung – gerade im Vergleich zu anderen Tatort-Folgen aus Wien, in denen die diesmal relativ braven Eisner und Fellner auch mal schwächere Drehbücher mit köstlichen Kabbeleien retteten. Die gibt es im 1272. Tatort nur vereinzelt (Stichwort: Imbissbude), und auch um müde Plattitüden ist dieser durchwachsene und mit düsteren Hip-Hop-Beats vertonte Rapper-Krimi nicht verlegen.
Bewertung: 4/10
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