Bild: WDR/Guido Engels

Die Frau im Zug

Folge 460

17. Dezember 2000

Sender: WDR

Regie: Martin Gies

Drehbuch: Axel Götz

So war der Tatort:

Lissylos.

Denn nach 13 Folgen an der Seite der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) quittierte die nie um einen flotten Spruch verlegene Assistentin Lissy Pütz (Anna Loos) im Vor-Vorgänger Direkt ins Herz den Dienst, um eine Gesangskarriere zu starten. Zwar sehen wir sie später in Nachtgeflüster und Fette Hunde noch einmal wieder, Lissys Platz im Präsidium übernimmt in Die Frau im Zug aber eine Figur, die dem Kölner Tatort nicht nur 13 Folgen, sondern über 13 Jahre erhalten bleibt: Die aufgeweckte Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) hat sich als Praktikantin bewährt und unterstützt nun die Ermittlungen am Rhein.

Ihr Einstand verläuft jedoch alles andere als geordnet: Regisseur Martin Gies (Rendezvous) nimmt uns im ersten Filmdrittel mit auf eine buchstäblich wilde Fahrt. Nachdem er bei einer missglückten Festnahme den Mafiaboss Alexij Schwarz (Mark Zak, Propheteus) erschossen und dabei mit einem waghalsigen Manöver sogar Ballauf in Gefahr gebracht hat, wird dem angeschlagenen Freddy Schenk vom Polizeipsychologen Urlaub aufgebrummt. Also macht er sich mürrisch auf den Weg ins belgische Ostende, wo seine zwei Töchter und seine Frau, die wir (auch) in diesem Tatort nicht zu Gesicht bekommen, schon auf ihn warten.

Im Zug macht Schenk die Bekanntschaft mit einer Dame mit Gipsbein, die ihn um einen Gefallen bittet: Der hilfsbereite Kommissar soll bei einem Halt in Aachen ein Päckchen mit Medikamenten aus einem Schließfach holen. Gesagt, getan – doch als Schenk ins Abteil zurückkehrt, ist die titelgebende Frau im Zug verschwunden und das ominöse Päckchen enthält keine Medikamente, sondern Kokain. Ehe sich Schenk versieht, steht der ebenso kompromisslose wie übereifrige Drogenfahnder Herbert Paul Assenbacher (Paul Faßnacht, Vergebung) vor ihm, den wir aus dem Ballauf-und-Schenk-Erstling Willkommen in Köln kennen. Und als der nach einem anonymen Hinweis auch noch ein Drogenversteck in Schenks Wohnung aushebt, bleibt Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche) keine andere Wahl, als Untersuchungshaft anzuordnen.


VOLLZUGSBEAMTER:
Sie sind der dritte Polizist hier drin.

SCHENK:
Ich bleibe nicht lange.

VOLLZUGSBEAMTER:
Das haben die anderen beiden auch gesagt. Der eine ist seit fünf Jahren hier, hat sich an seiner Stieftochter vergangen. Der andere kam vor drei Jahren, hat mit Rauschgift gehandelt. Und Sie?

SCHENK:
Ich bin mit dem Zug gefahren.

Ein rasanter, witziger und zugleich fesselnder Auftakt, der mit zum Besten und Spannendsten zählt, was wir bis dato aus der Domstadt sehen durften. Dass Ermittler mitunter selbst ins Visier der Strafverfolgung und damit in Ausnahmesituationen geraten, wird im Tatort später fast Tradition – man denke etwa an die starke Münchner Folge Der traurige König von 2012, den ungewohnt ernsten Beitrag Die chinesische Prinzessin von 2013 aus Münster oder den Austro-Tatort Dein Verlust von 2024. Und birgt erfahrungsgemäß auch immer einen gewissen Reiz.

Den erkennt auch Drehbuchautor Axel Götz (Tod eines Wachmanns), allerdings hätte seiner Geschichte weniger reißerischer Hollywood-Pathos à la Auf der Flucht ganz gut getan. Die Verzweiflungstat, zu der sich Schenk nach gut einer halben Stunde hinreißen lässt, ist nämlich out of character und lässt den Film die Bodenhaftung verlieren. Während Ballauf mit der smarten Marie Tramitz (Ina Rudolph, Das letzte Rodeo) die vermeintliche Frau im Zug ausfindig macht und ermittelt, obwohl er für den Fall gar nicht zuständig ist, geistert Schenk durch Köln und stolpert dabei von einer hanebüchenen Aktion in die nächste.

Der untergetauchte Kommissar droht etwa dem undurchsichtigen Zeugen Tim Dorfmann (Patrick Elias, Die Musik stirbt zuletzt) auf offener Straße („Entweder du sagst mir jetzt, was hier abgeht, oder du hörst deine Zähne im Arsch Klavier spielen“), klaut unbehelligt einen Ami-Schlitten vom Polizeigelände oder lässt sich auf ein nächtliches Treffen mit einer zwielichtigen Informantin ein. Wer sich so verantwortungsbewusst verhält, kann natürlich trotzdem auf die Unterstützung der Kollegen bauen: Dass sich der flüchtige Schenk und Ballauf ständig sehen und telefonieren, erscheint schon wenig glaubhaft, dass dem berserkernden Bullen dann aber auch noch die gutgläubige Franziska zur Seite springt, ist der Figurenzeichnung zwar dienlich, des Guten aber eindeutig zu viel.

Wer es in Sachen Realismus nicht so genau nimmt, wird immerhin gut unterhalten – dafür sorgen nicht zuletzt das durchgängig hohe Erzähltempo und die treffsicheren Dialoge. Auch die Frage, wer es auf Schenk abgesehen hat und warum, bleibt erfreulich lange offen. So gestaltet sich der 460. Tatort spannend und abwechslungsreich, enttäuscht am Ende aber mit einer einfallslosen Auflösung. Der erste Auftritt von Franziska Lüttgenjohann ist trotz der unterm Strich durchschnittlichen Wertung dennoch ein denkwürdiger – an ihren fulminant-starken Abschied in der nach ihr benannten Folge Franziska von 2014 reicht er aber bei weitem nicht heran.

Bewertung: 5/10


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