Folge: 535 | 9. Juni 2003 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: WDR/Uwe Stratmann |
So war der Tatort:
Belastend.
Und zwar in erster Linie für den Kölner Hauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär), der bei seinem 25. Einsatz seinen Augen kaum traut: Bei einem Raubüberfall auf eine Tankstelle erschießt der Täter einen Kunden, der die Polizei alarmieren will – und die Bilder der Überwachungskamera zeigen zu Schenks Erstaunen das Gesicht von Ronald „Ronny“ Lochte (Roman Knizka, Kälter als der Tod), den er vor Jahren als Bankräuber überführt hat und der seine Haftstrafe in der JVA noch absitzt. Ein perfekteres Alibi gibt es kaum.
Für Schenk und seinen Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) ergeben sich damit zwei Möglichkeiten: Entweder ist Lochte, der den vermeintlichen Bankraub bisher nicht gestanden hat, aus dem Gefängnis ausgebrochen und direkt rückfällig geworden – oder aber er hat einen Doppelgänger, der womöglich auch das Verbrechen begangen hat, für das ihn Schenk zu Unrecht hinter schwedische Gardinen gebracht hat.
Die Antwort ist schon nach vier Minuten gefunden: Lochte sitzt putzmunter im Gefängnis und ist sogar bereit, den Bankraub zu gestehen, weil ihm dadurch die Entlassung in den offenen Vollzug winkt. Gegenüber dem Kölner Kommissar, der ihm vielleicht ohne böse Absicht die Tat eines Anderen zur Last gelegt hat, hegt er keinen nennenswerten Groll.
SCHENK:Gut sehen Sie aus. Viel Sport, hm?LOCHTE:Sie aber auch, Kommissar. Hausmannskost, wie?
Wer nun glaubt, die Ermittlungen im 535. Tatort würden sich auf den ominösen Doppelgänger konzentrieren (immerhin hat der ja einen Menschen erschossen), ist aber denkbar schief gewickelt: Der unbekannte Tankstellenräuber interessiert die Kommissare nicht die Bohne, weil Lochte kurze Zeit später aus der JVA ausbricht und bei seiner Flucht eine stattliche Anzahl an Leichen auftürmt. Wer Lochtes Doppelgänger ist, klärt sich später durch Zufall – es ist eines der größten Mankos in einem ansonsten überzeugenden Tatort, in dem die Filmemacher die Spannungskurve über die gesamte Spieldauer nie in den Keller sinken lassen.
Drehbuchautor Norbert Ehry (Die Neue) hat sich gegen das gewohnte Whodunit-Konstrukt entschieden und stattdessen eine schnörkellose Hetzjagd konzipiert, bei der die Kommissare bisweilen mit pfiffigen Tricks ihr Glück versuchen und Schenk noch weitere Tiefschläge wegstecken muss: Sein Handy und seinen Dienstwagen – einen schicken alten Ford Mustang – lässt er sich leichtfertig abluchsen, das erste Kölsch an der Wurstbraterei muss er nach einem Streit mit Ballauf allein trinken und daheim scheint ihn auch niemand zu vermissen, wenn er notgedrungen die Nacht unter freiem Himmel verbringt.
Für den Zuschauer sind die Sympathien bei der Suche nach Lochte klar verteilt: Der flüchtige Straftäter, von Roman Knizka charismatisch verkörpert, gibt sich gegenüber seiner Geliebten Verena Radek (Katharina Müller-Elmau, Die Neue) und seiner Tochter Annika (Nicole Mieth, Der doppelte Lott, später auch Playboy und Dschungelcamp) zwar aufopferungsvoll und herzlich, zögert aber keine Sekunde, unschuldige Menschen zu töten, um seine eigene Haut zu retten. Auch seine Ex-Freundin Elke Meerbusch (Barbara Philipp, ermittelt später als Magda Wächter im Tatort aus Wiesbaden) behandelt er zu grob, als dass wir dem Getriebenen bei der Flucht vor der Kripo heimlich die Daumen drücken würden.
Ein solches Konstrukt wäre für den Tatort ohnehin sehr ungewöhnlich; und so dürfen wir fast eineinhalb Stunden unter temporeich-routinierter Regie von Kaspar Heidelbach (Rückspiel) mitfiebern, ob es Ballauf und Schenk wohl gelingt, Lochte wiedereinzufangen und (noch) größeres Unheil zu verhindern. Rein ästhetisch hat Das Phantom aber stellenweise was von Vorabendprogramm: Ein bemühter Motorrad-Stunt am Bahndamm würde den Machern von Alarm für Cobra 11 allenfalls Gelächter abringen und auch der effekthascherische Soundtrack trifft bei Suspense-Momenten nicht immer den richtigen Ton.
Mitunter gilt das auch für die Kommissare, die in diesem Tatort eher selten einer Meinung sind. Im Beisein von Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) kriegen sie sich gar so sehr in die Haare, als hätte sich seit ihrer denkwürdigen ersten Begegnung in Willkommen in Köln nicht viel an ihrem Verhältnis geändert: Während Schenk moniert, dass Ballauf mit der undurchsichtigen Radek flirtet, zahlt der ewige Junggeselle dem in diesem Tatort so gebeutelten Familienvater Schenk mit gleicher Münze zurück.
BALLAUF:Weißt du eigentlich, wie Alfred Schenk Vater geworden ist? Tja, weiß er auch nicht. Im Bio-Unterricht hat er immer gefehlt und – Hokuspokus – waren die Töchter da.SCHENK:Hör nicht auf ihn. Seit vier Jahren weint er nachts ins Kissen, in seinem schäbigen Hotel. Jetzt ist er sauer, weil sie sich lieber mit ’nem Knacki einlässt als mit ihm.
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