Folge: 572 | 8. August 2004 | Sender: ORF | Regie: Holger Barthel
Bild: rbb/ORF/Thomas Jantzen |
So war der Tatort:
Nah am Wasser gebaut – und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Sein 11. Einsatz führt den Wiener Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) erneut nach Tirol, wo er bereits 2003 in Tödliche Souvenirs ermittelte. Diesmal verschlägt es ihn ins beschauliche St. Johann, das gerade mediale Aufmerksamkeit genießt: Im Ort soll eine neue Mineralwasserabfüllanlage gebaut werden, die neue Arbeitsplätze schaffen und die Region wirtschaftlich voranbringen soll.
So weit, so gut. Blöd nur, dass just an der örtlichen Heilquelle die Leiche des Försters Hermann Wegscheider (Peter Mitterrutzner, Unvergessen) gefunden wird, der die industrielle Nutzung der Quelle mit allen Mitteln verhindern wollte. Durch dieses Vorhaben hatte er den Groll der restlichen Bevölkerung auf sich gezogen. Abgesehen von seinem einstigen Schulfreund Otto Friedmann (in seiner letzten Fernsehrolle: Heinz Frölich), dem das Opfer in den Monaten vor seinem Tod Briefe geschrieben hatte, scheint fast niemand an seinem Ableben Anteil zu nehmen. Einzig die Schülerin Maria Kaindl (in jungen Jahren: Alma Hasun, Glaube, Liebe, Tod), die ein Herz für den in einem Zelt an der Quelle hausenden Naturfreund hatte und ihn dort regelmäßig besuchte, erstattet Anzeige.
Eisner und die vor Ort zuständige Innsbrucker Ermittlerin Barbara Trenkwalder (Birgit Doll), die sich von früher kennen und denen – wie in zahlreichen Tirol-Folgen des ORF – der trottelig-naive Inspektor Pfurtscheller (Alexander Mitterer) zur Seite steht, sind da gar nicht gern gesehen. Sie finden sich in einem Szenario wieder, das an Friedrich Dürrenmatts Theaterstück „Der Besuch der alten Dame“ erinnert: Auch die Geschichte von Drehbuchautor Felix Mitterer (Passion) zeigt eindringlich, wie schnell eine Gesellschaft ihre moralischen Grundsätze fallen lässt, wenn die Verlockung des Geldes ruft.
Da ist der Bauer Peter Kaindl (Andreas Lust, Für immer und dich), Marias Vater, bei dem bereits ein nigelnagelneuer Traktor auf dem Hof steht und der eine erstaunlich hohe Summe dafür erhalten hat, auf dem Quellschutzgebiet keinen Dünger oder Pestizide auszubringen. Der Bürgermeister der Gemeinde (Andreas Puehringer) will partout nicht, dass ermittelt wird. Und der Sohn des toten Försters, Siggi Wegscheider (großartig: Gregor Bloéb, Maleficius), lässt sich die Modernisierung seiner Autowerkstatt bezahlen, hat für das ökologische Engagement seines Vaters aber wenig übrig.
WEGSCHEIDER:Gibt ja genug grüne Arschlöcher, oder? Aber so hartnäckig wie er war keiner.TRENKWALDER:Sie wollten sagen, er war ein Idealist.WEGSCHEIDER:
Nein, ein Depp war er.
Sie alle lassen sich kaufen – vom eitel und arrogant umher stolzierenden Unternehmer und Besitzer der Quelle, Reinhard Gasser (Johannes Krisch, Her mit der Marie!). Der will die Abfüllanlage mit Hilfe seines gönnerhaften Investors Abdellatif al Sayeed (Hussi Kutlucan, Wolf im Schafspelz) bauen. Doch wer ist wirklich so weit gegangen, den unbequemen, aber harmlosen Förster zu töten?
Aufgrund der Vielzahl an Verdächtigen eine knifflige Frage, deren Beantwortung die Filmemacher um Regisseur Holger Barthel (Tödliches Vertrauen) aber nach gut 45 Minuten – und einer großartigen Sequenz, in der vor allem Gregor Bloéb sein ganzes schauspielerisches Können zeigt – nur noch am Rande verfolgen. In den Fokus geraten stattdessen die Entwicklungen rund um Gasser und seine Mitarbeiterin Karin Leitner (Franziska Weisz, von 2016 bis 2024 als Hauptkommissarin Julia Grosz im Hamburger Tatort zu sehen): Sie mausert sich im Laufe des Films von der verführerischen Badenixe im Hotel-Swimmingpool zur eiskalten Intrigantin.
Und so entwickeln die Ereignisse im Schlussdrittel eine fast irrwitzige Eigendynamik, die unsere Aufmerksamkeit allerdings über das gewohnte Maß hinaus fordert. Spätestens, wenn der ehemalige, auf Rache sinnende Bankdirektor Bruno Mauler (Werner Prinz, Nichts mehr im Griff) die Bildfläche betritt, wird es schwer, den Überblick zu behalten. Diesen Handlungsstrang hätte es nicht gebraucht. Denn er hat zur Folge, dass auch der Showdown nicht nur unfreiwillig komisch, sondern auch erzwungen wirkt. Für eine zufriedenstellend dargebotene Auflösung fehlt dann schlichtweg die Zeit.
Wer den Fehler begeht und zu früh abschaltet, wird aber um einen gleichsam bewegenden wie herausragenden Tatort-Moment gebracht: Die berührende Schlussszene der 572. Tatort-Folge, in der die junge Alma Hasun ihre starke Performance krönt, weckt Erinnerungen an das erschütternde Finale im Frankfurter Tatort-Meilenstein Unter uns und treibt selbst dem sonst so gefassten Eisner die Tränen in die Augen. Der Wächter der Quelle ist damit nicht nur aufgrund seiner tollen Landschaftsaufnahmen ein sehr sehenswerter Beitrag der Reihe, der zudem mit einer zeitlos aktuellen Thematik punktet. Als Krimi zum Miträtseln funktioniert er allerdings nicht ganz so gut.
Bewertung: 6/10
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